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Die Gerechtigkeit Muss Warten: Justice series, #2
Die Gerechtigkeit Muss Warten: Justice series, #2
Die Gerechtigkeit Muss Warten: Justice series, #2
Ebook405 pages5 hours

Die Gerechtigkeit Muss Warten: Justice series, #2

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About this ebook

Seit acht langen Jahren jagt Detective Inspector Lorne Simpkins dem als Einhorn bekannten skrupellosen Verbrecher hinterher, doch der Killer führt den MI6 immer wieder an der Nase herum und versteht es meisterhaft zu verhindern, dass der Gerechtigkeit Genüge getan werden kann.

Als Lorne von ihm in eine Falle gelockt wird, die den Tod ihres Partners zur Folge hat, erschüttert diese Tragödie ihr Selbstvertrauen zutiefst. Bevor sie jedoch Zeit hat, sich davon zu erholen, wird ihre Tochter entführt. Jetzt steht mehr auf dem Spiel als nur Lornes berufliches Ansehen: Sie muss das Einhorn zur Rechenschaft ziehen - koste es, was es wolle.

LanguageEnglish
PublisherM A Comley
Release dateMar 6, 2016
ISBN9781524268886
Die Gerechtigkeit Muss Warten: Justice series, #2
Author

M. A. Comley

I am a British author. I moved to France around ten years ago, and that's when I turned my hobby into a career. I'm fortunate to be represented by New York agent Richard Curtis. I share my home with two crazy dogs that like nothing better than to drag their masterful leader (that's me) around the village. I hope you enjoy reading my books, especially the Justice series, Cruel Justice, Impeding Justice,Final Justice,Foul Justice and the newest addition, Guaranteed Justice. Ultimate Justice is due out in Feb 2013. If you'd like to keep up to date with new releases you can find me on facebook by following this link http://www.facebook.com/pages/Mel-Comley/264745836884860 If you fancy a lighter read, why not try one of my romances: A Time to Heal, and A Time for Change--Based on a TRUE story. I also have a selection of short stories and novelettes available which I know you'll enjoy. You can find out more about me at the following blogs. http://melcomley.blogspot.com http://melcomleyromances.blogspot.com  

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    Book preview

    Die Gerechtigkeit Muss Warten - M. A. Comley

    KAPITEL 1

    In der Ferne hörte Detective Inspector Lorne Simpkins das Rattern von Hubschrauberrotorblättern und beugte sich über das Lenkrad, um hinauf in den Himmel zu spähen. Sie konnte den Hubschrauber zwar noch nicht sehen, vermutete allerdings, dass er links von ihr hinter den hohen Gebäuden, die das Ufer der Themse säumten, in der Luft schwebte. Vor ihrem inneren Auge stieg das Bild auf, wie die Männer des bewaffneten Einsatzkommandos im Inneren des Hubschraubers kauerten und mit Gewehren im Anschlag auf ihren Einsatz warteten.

    Wenn der Tipp, den man ihr gesteckt hatte, brauchbar war, würden kostbare Minuten verstreichen, bevor das Team bei ihr sein konnte. Zum hundertsten Mal verwünschte sie die Tatsache, dass Pete und sie während dieser Einsätze keine Waffen tragen durften. Zum Teufel mit diesen politischen Entscheidungen!

    Jetzt fuhr sie zum zweiten Mal an der Gasse vorbei – immer noch keine Bewegung, nichts Verdächtiges. Vorsichtig brachte sie das Auto zum Stehen.

    Sie spürte, wie Pete sich unruhig auf dem Beifahrersitz neben ihr bewegte.

    »Nervös?«, fragte sie und warf ihm einen Blick zu.

    »Nein. Die Typen von der Trockenreinigung haben meine Hose mal wieder eine Größe kleiner zurückgegeben, als ich sie abgegeben hatte.«

    »Klar doch, Pete. Dass du in der letzten Zeit ungefähr zehn Kilo zugenommen hast, hat wahrscheinlich überhaupt nichts damit zu tun, dass die Hose jetzt zu eng sitzt, nicht wahr?«

    »Hey, du weißt doch, dass ich ganz schön viele Kalorien zu mir nehmen muss, um mein Gewicht zu halten. Außerdem esse ich mehr, wenn ich unter Stress stehe. Auf diese sinnlosen Verfolgungsjagden könnte ich auch gut und gerne verzichten.«

    »Wir können nur hoffen, dass es nicht schon wieder eine Falschmeldung ist und dass wir den Mistkerl endlich einbuchten können.«

    »Ich wette fünfzig Kröten, dass es wieder so läuft wie letztes Mal in Brixton.«

    »Mit dir wette ich nicht. Positionier dich jetzt ans andere Ende der Gasse und rühr dich nicht mehr von der Stelle, bis ich dir ein Zeichen gebe. Verflucht noch mal, Pete, jetzt mach endlich deine kugelsichere Weste zu und nimm das hier ernst. Hast du mich verstanden? Und wenn es sich wieder als Flopp erweist, dann ist das eben so. Wir aber ...«

    »Diese blöde Weste ist wie so eng wie eine Zwangsjacke. Mir wird richtig schlecht, wenn ich sie auch noch zumache. Ich habe mir ja schon eine größere bestellt, so eine mit Verschlüssen an der Seite, aber ...«

    »Jetzt halt endlich deinen Mund und mach die verdammte Weste zu! Wenn das hier nämlich ernst ist, haben die uns schneller am Wickel, als wir aus dem Auto aussteigen können.«

    Lorne brachte sich in Stellung, beugte sich etwas vor und blickte die lange, enge Gasse hinunter. Der stechende Geruch von Urin und dem verrottenden, mit Fliegen übersäten Müll, der sich aus umgedrehten Mülltonnen ergoss, stieg ihr in die Nase. Sie gab Pete ein Zeichen, dass die Luft rein war, und wartete dann, bis er zur anderen Straßenseite geflitzt war, bevor sie wieder einen Blick die Gasse hinunter warf und ihm zu verstehen gab, dass alles in Ordnung war.

    Sie bewegten sich vorsichtig weiter an den mit Graffiti besprühten Wänden entlang. Ein abgemagerter Hund, der auf der Suche nach seiner nächsten Mahlzeit war, knurrte sie an, doch der Hunger war stärker als sein Drang, sich zu behaupten. Er schnappte sich die Überreste eines Hühnchens und verschwand.

    Lorne seufzte erleichtert auf. »Kannst du etwas sehen?«, raunte sie Pete zu.

    »Absolut gar nichts. Wenn du mit mir gewettet hättest, wäre ich jetzt um fünfzig ...«

    Ein Schuss durchbrach die Stille.

    Pete sackte zu Boden, als hätte man ihm die Beine unter dem Körper weggezogen. Starr vor Entsetzen beobachtete Lorne, wie seine kugelsichere Weste in alle Richtungen zu explodieren schien. Nein, Pete! Du hast das verdammte Ding nicht zugemacht!

    Sein Körper bäumte sich auf, als er von einer zweiten Kugel getroffen wurde. Lorne duckte sich und machte sich so klein wie möglich. Sie versuchte, zu ihm auf die andere Straßenseite zu gelangen, doch etwas traf sie im Gesicht. Ein stechender Schmerz schleuderte sie zu Boden.

    Sie versuchte, die in ihr aufsteigende Panik zu unterdrücken und sich auf das Wichtige zu besinnen. Setz einen Funkspruch ab, Lorne – wie du es gelernt hast!

    Sie griff nach ihrem Funkgerät. »Ich brauche Verstärkung. Beamter am Boden.«

    Das ferne Summen des Hubschraubers wurde lauter und schwoll zu einem tiefen Dröhnen an. Die Rotorblätter durchschnitten die Luft immer schneller, während der Hubschrauber sich rasch näherte.

    Pete stöhnte.

    Gott sei Dank, er ist noch am Leben! Aber er brauchte Hilfe. Wieder schlug ein Kugelhagel in der Gasse ein. Staub und Trümmer spritzten in die Höhe. Lorne suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, auf die andere Seite zu Pete zu gelangen.

    Eine große blecherne Mülltonne stand wenige Meter entfernt im Hinterhof eines der Läden hinter ihr. Oben quoll der Inhalt heraus, doch die Räder sahen aus, als wären sie noch in Ordnung. Sie positionierte die Mülltonne zwischen sich und den Schützen, während ringsumher Kugeln auf Wänden und der Straße aufschlugen und wieder abprallten. Einige trafen die Mülltonne. Teile von Plastikflaschen und Blechdosen sowie andere Trümmer flogen durch die Luft und trafen sie, doch ihr Schutzschild hielt ihnen stand. Lorne schaffte es auf die andere Seite zu Pete.

    Er röchelte, während sie sein Hemd aufriss. Ein zerklüftetes Loch in seinem Bauch und eine Wunde in der Nähe des Herzens ließen sie vor Schreck erstarren.

    Scheiße ... das sieht nicht gut aus.

    Sie zerrte sich die Jacke vom Leib, zog die Bluse aus, riss sie in der Mitte durch und drückte sie auf die Wunden. Ihre Hände zitterten, als sie sich auf die Wunden lehnte.

    Um sie herum hagelte es Kugeln. Der Reifen eines in der Nähe geparkten Lieferwagens zerbarst. Sie brach in Schweiß aus. Wo bleibt nur das verdammte Einsatzkommando?

    »Lorne ...« Ein Hustenanfall unterbrach Petes röchelnde Stimme. Blut rann ihm aus den Mundwinkeln.

    Nein! Bitte, lieber Gott, lass uns beide hier lebend rauskommen ...

    »Es ist zu spät, Lorne. Ich bin ...«

    Die Tränen, die sie bislang zurückgehalten hatte, rannen ihr die Wangen hinunter und tropften ihm auf die Brust.

    »Sag jetzt nichts. Es ist alles in Ordnung. Das Team ist unterwegs ...«

    »Ist es ... ist es nicht ...«

    »Hör zu, du Dummkopf. Ich bin der Chef hier. Und wenn ich sage, dass ...«

    »Ich ... ich muss ... ich ... muss dir etwas sagen ...«

    Der Hubschrauber schob sich über sie in den Luftraum und stand jetzt direkt über dem Gebäude, aus dem die Schüsse gekommen waren. Zwei Polizisten seilten sich auf das Dach ab.

    »Bleiben Sie, wo Sie sind. Bewegen Sie sich keinen Schritt«, befahl eine Stimme durch ein Megafon.

    »Als ob wir ... vorhätten ... irgendwohin zu gehen.«

    Petes ausgedörrte und aufgeplatzte Lippen verzogen sich zu einem schmerzverzerrten Grinsen. Dankbar über seinen Versuch zu scherzen, lächelte Lorne zurück.

    »Wie schlimm sind die Schmerzen?«

    »Geht schon. Hör zu, ich ...« In den Lärm des Hubschraubers mischte sich jetzt auch das Martinshorn eines Krankenwagens.

    Die Schüsse waren verstummt. War das Einhorn wieder entkommen oder hatten sie ihn endlich geschnappt? Sie hoffte, dass sie ihn endlich hatten.

    Sie richtete sich auf und blickte hoch. Ein Polizist auf dem Dach gab ihr durch Zeichen zu verstehen, dass sie alles gesichert hatten, und der Hubschrauber flog weiter. Einen kurzen Augenblick lang trat eine unheimliche Stille ein, dann krachte eine Tonne hinter ihr zu Boden. Sie fuhr herum und sah zwei Polizisten, die den Müll mit den Füßen aus dem Weg traten und die Tonnen auf eine Seite warfen. Die Sanitäter waren direkt hinter ihnen und hatten ihre Notfallgerätschaften und eine Bahre dabei.

    Gott sei Dank!

    Ihr hoffnungsfrohes Lächeln erstarb ihr auf den Lippen, als sie zu Pete hinabblickte. Sein Kopf war zur Seite gefallen. Er atmete mühsam. Ein gurgelndes Geräusch mischte sich jetzt unter sein Röcheln. Durch halb geschlossene Lider blickte er zu ihr auf, ohne sie wirklich zu sehen. Alles, was einmal Pete gewesen war, wurde zu einer ausdruckslosen, wächsernen Maske.

    Das glatte Innenfutter ihrer Jacke drückte sich kalt auf ihre Schultern, als starke Hände ihr auf die Beine halfen. Sie ließ es geschehen. Dann trat sie zur Seite, damit die Rettungskräfte ihn wiederbeleben konnten, und blickte sie hoffnungsvoll an. Doch sie hörte stattdessen die Worte, die sie am meisten gefürchtet hatte.

    »Da ist nichts mehr zu machen.«

    Die beiden Polizeibeamten stützten Lorne rechts und links und begleiteten sie bis zum Krankenwagen. Sie setzte sich aufrecht hin und beobachtete, wie sie Petes zugedeckte Leiche in einen zweiten Krankenwagen luden. Der Krankenwagen fuhr los, ohne sich die Mühe zu machen, das Martinshorn einzuschalten. Ein Notfallarzt kümmerte sich um ihre Verletzung im Gesicht, säuberte ihr die blutigen Hände und injizierte ihr etwas in den Arm.

    Sie unternahm nichts, um die Tränen, die ihr übers Gesicht strömten, aufzuhalten. Sie musste daran denken, was man ihr gesagt hatte, als sie vom Tatort weggebracht wurde. Das Einhorn war wieder einmal entkommen. Der Dreckskerl war ihr schon viel zu lange ein Dorn im Auge, und jetzt hatte er ihr Pete genommen, ihren Freund und besten Kollegen. Jede Pore ihres Körpers schrie hasserfüllt nach Rache.

    Während langsam die Wirkung des Beruhigungsmittels einsetzte und sie in einen traumlosen Schlaf versank, wiederholte sie wieder und wieder die gleichen Worte: »Ich kümmere mich darum, Pete. Ich kriege ihn, versprochen!«

    KAPITEL 2

    »Er ist hier, Pete. Ich habe den Mistkerl endlich geschnappt ...«

    »Mein Gott, was ...?«

    Ein lauter Schlag riss Lorne aus ihrem beängstigenden Traum. Die unbekannten, steril-weißen Wände spiegelten ihre Angst wider.

    Wo bin ich? Ein dichter Nebel verschleierte ihr Gehirn und erstickte alle Antworten. Sie drehte den Kopf, als sie einen kalten Luftzug auf dem Gesicht spürte. Tom.

    Er schloss die Tür hinter sich. Ihre Angst ließ nach, als ihr Mann auf sie zutrat.

    »Endlich bist du wach! Wie fühlst du dich?«, fragte er.

    »Es geht schon. Wie lange habe ich geschlafen?« Erinnerungen, die sie lieber vergessen würde, durchfluteten ihr benebeltes Gehirn.

    Er antwortete nicht.

    »Jetzt red schon, Tom! Wie lange?«

    Sie schlug die Decke zurück und schwang ihre schlanken Beine über die Bettkante. Als sich das eiserne Bettgestell in ihre Waden bohrte, zuckte sie zusammen.

    »Was machst du da? Schatz, du kannst noch nicht aufstehen ...« Bevor sie Zeit hatte zu reagieren, sprang er herbei und stopfte ihre Beine zurück unter die Bettdecke.

    Lorne war einen Moment sprachlos und starrte ihn nur an.

    »Zum Kuckuck, Tom, sag mir endlich wie lange!«

    »Vierundzwanzig Stunden.«

    »Wie bitte?«

    »Sie haben gesagt, dass du unter Schock stehst. Sean und ich sind mit dem Arzt übereingekommen, dass es besser wäre, dich eine Zeitlang außer Gefecht zu setzen, damit sich dein Körper von der Tortur erholen kann. Schließlich bist du ja auch verwundet ...«

    »Verwundet? Das ist nur ein kleiner Kratzer! Du und Sean? Seit wann ist mein Boss dein Busenfreund?«

    Er hinderte sie ein zweites Mal daran, das Bett zu verlassen.

    »Ich muss hier raus! Du und Sean, ihr habt mir schon genug kostbare Zeit gestohlen.«

    Sie drückte ihre Handballen gegen seinen Brustkorb, doch er weigerte sich, beiseite zu treten.

    »Ich weiß, dass Sean und ich nie wirklich einer Meinung waren, aber in diesem Fall ... nach dem, was mit Pete passiert ist ...«

    »Aha! Also dann weißt du das mit Pete? Dann muss ich sagen, dass du deinen Kummer wirklich meisterhaft verbirgst. Ist es keinem von euch in den Sinn gekommen, dass der Mord an Pete der Grund dafür sein könnte, dass man mich besser nicht bis über beide Ohren mit Drogen vollstopft? Petes Mörder ist irgendwo da draußen. Wie zum Teufel soll ich, bitte schön, den Mistkerl schnappen, wenn man mich in einem Krankenzimmer einsperrt? Herr im Himmel, dieser verfluchte Bastard hat jetzt einen Riesenvorsprung. Eine Stunde reicht dem Kerl doch aus! Was in alles in der Welt hat sich Sean bloß dabei gedacht? Bin ich etwa die einzige hier, die auch mal ihr Hirn einschaltet?«

    »Nein. Du meinst nur, du wärst die einzige. Es ist immer das Gleiche mit dir: Lorne gegen den Rest der Welt. Ich habe das gleiche Argument mindestens tausend Mal über die Jahre zu hören bekommen.«

    Als die Bedeutung seiner Worte so langsam zu ihr durchdrang, wurde sie von Reue ergriffen. Es stimmte, dass sie ihm manchmal sehr viel zumutete. Er hatte nie verstanden, warum ihr die Arbeit so wichtig war und sie sie über die Familie stellte.

    Über sein Gesicht zog ein Ausdruck verärgerter Resignation. Nicht gerade das, was man als Waffenstillstand bezeichnen würde, aber wenigstens gab er jetzt nach. Er holte ihr die Klamotten aus dem Kleiderschrank. Irgendwann während ihrer erzwungenen Ruhepause hatte er die Voraussicht gehabt, ihren blutverschmierten Anzug durch saubere Kleidung zu ersetzen.

    Sie zog sich den Rock über die Hüften. Ihre Beine fingen an zu zittern. Mit einer Hand stützte sie sich auf dem Krankenhausbett ab, bis die Schwäche nachließ. Als sie sich den Reißverschluss des Rocks hinten am Rücken zuzog, gab Tom seiner wachsenden Verärgerung Ausdruck, indem er den Raum mit seinen Seufzern füllte.

    Wie kindisch er doch sein konnte.

    »Ich muss ins Hauptquartier. Kannst du mich fahren oder soll ich lieber ein Taxi nehmen?«

    »Hör mit dem Unsinn auf! Vielleicht ist es für dich gerade schwer vorstellbar, aber ich bin nicht einer deiner zahlreichen Feinde. Lass deinen Frust nicht an mir aus. Ich bin genauso fertig wegen dem, was mit Pete passiert ist, wie du. Er war auch ein guter Freund von mir, wie du ja wohl noch weißt.«

    Sie drehte sich um und wollte schon etwas Giftiges antworten, doch der Schmerz, den sie in seinem Gesicht las, schockierte sie. Mein Gott, was bin ich doch manchmal für eine selbstsüchtige Kuh.

    Er machte eine ungeduldige Handbewegung und marschierte mit schweren Schritten auf die Tür zu. »Aber was rede ich überhaupt? Der Arzt wird mit dir reden wollen, bevor er dich entlässt. Ich sehe nach, ob ich ihn finden kann.«

    Verärgert gab sie zurück: »Spar dir die Mühe. Keiner wird mich daran hindern, das Krankenhaus zu verlassen. Keiner, hast du verstanden? Tu einfach, um was ich dich gebeten habe, und fahr das Auto zum Vorderausgang.«

    Sie verspürte das Bedürfnis, auf irgendetwas einzuschlagen, deswegen bearbeitete sie ihre schulterlangen braunen Haare mit der Haarbürste. Der Schmerz half ihr, den Zorn ein wenig zu vergessen.

    Dann stürmte Lorne aus dem Zimmer und marschierte den Gang hinunter. Eine blonde Stationsschwester mittleren Alters kam hinter dem Schreibtisch hervorgeschossen. »Mrs. Simpkins, Sie können nicht einfach aufstehen und gehen!«

    »Wollen wir wetten? Dann schauen Sie mal her.«

    »Lassen Sie mich wenigstens Dr. Carter rufen. Er macht jetzt gleich seine Runde.« Dabei versuchte sie, Lorne zurück ins Krankenzimmer zu schieben.

    Doch Lorne schüttelte ihre Hand ab. »Ich habe schon mehr als genug Zeit hier verplempert. Geben Sie mir einfach die Entlassungspapiere zum Unterschreiben, damit ich diesen Saftladen endlich verlassen kann. Entschuldigen Sie, aber ich habe es eilig.«

    Die Schwester holte die Papiere und hielt sie Lorne unter die Nase.

    »Danke. Und wie komme ich am schnellsten zur Leichenhalle?«

    »Erster Gang links, dann die zweite Tür rechts. Mit dem Aufzug kommen Sie ins Untergeschoss. Am Ende des Gangs auf der rechten Seite ist die Leichenhalle.«

    Also jetzt kein Krankenschwestergesäusel mehr?

    Beklommen hoffte sie, dass ihr guter Freund und gelegentlicher Arbeitskollege, der Pathologe Jacques Arnaud, Dienst hatte.

    Sie war noch nicht weit gekommen, als sie sich gegen eine Wand lehnen musste, um einen Augenblick zu verschnaufen. Hat die Krankenschwester zweite oder dritte Tür rechts gesagt?

    Die ruckelige Fahrt mit dem Aufzug ließ ihre Knie wieder weich werden. Erneut suchte sie Zuflucht an der kalten, weiß gestrichenen Ziegelmauer des Gangs. Was zum Teufel ist los mit dir, Lorne? Doch sie kannte die Antwort bereits. Dies würde das letzte Mal sein, das sie ihren Partner zu Gesicht bekam. Ihren toten Partner.

    »Ma chérie, wie geht es dir?« Sie fuhr zusammen. Jacques’ Stimme kam hinter einem Stoß Berichte hervor. Er legte die Unterlagen, die er in der Hand gehalten hatte, auf den Schreibtisch und ging dann mit geöffneten Armen auf sie zu.

    Sie vergaß ihre Ängste und Sorgen, als sie sich in seine Umarmung fallen ließ und sich wie eine Ertrinkende an ihn klammerte. Er strich ihr über den Rücken und flüsterte ihr etwas in seiner Muttersprache ins Ohr. Dann murmelte er in ihrer Sprache: »Schschsch ... chérie, alles wird wieder gut.«

    Sie wünschte sich, dass dieser Augenblick ewig andauern könnte. Und sie spürte, dass er das Gleiche empfand.

    Warum musste das Leben so verdammt kompliziert sein?

    Sie löste sich von ihm und versuchte, die in ihr aufsteigenden Gefühle zu unterdrücken. Sie weigerte sich, sie zuzulassen. Nicht hier und nicht jetzt.

    Sie kannten sich seit Jahren, doch in den letzten zwölf Monaten hatte sich ihre Freundschaft vertieft.

    »Ist er hier, Jacques?«

    »Er ist hier, ja. Aber ich glaube nicht, dass es gut für dich ist, ihn zu sehen.«

    Stirnrunzelnd blickte sie zu ihm auf. Ihr Herz drohte sie zu verraten und seine Worte ärgerten sie, doch sie schüttelte das Gefühl ab. Warum glauben nur alle zu wissen, was das Beste für mich ist? Warum kann keiner, noch nicht einmal Jacques, es akzeptieren, dass ich meine Gefühle im Griff habe?

    Der Ärger trieb sie an. Sie ging den Gang hinunter zu den Umkleidekabinen. Jacques folgte ihr ohne ein weiteres Wort des Protests.

    »Überlass mir die Entscheidung. Habt ihr ihn bereits geöffnet?«, fragte sie und zuckte innerlich bei ihren eigenen gefühllosen Worten zusammen.

    Ungeduldig zog sie sich im Gehen schon die Jacke aus, um sich die vorschriftsmäßige Schutzkleidung überziehen zu können, mit der sie Jacques’ Obduktionsraum betreten konnte. »Ohne Kittel kein Zutritt«, hatte er ihr bei ihrer ersten Begegnung gesagt.

    »Oui, ich habe die Obduktion heute Morgen durchgeführt. Wenn es dir irgendwie zum Trost gereichen sollte, Lorne, er hätte trotz seines kräftigen Herzens aufgrund seiner Verletzungen weder eine OP überlebt, noch hätte er ... nun ...«

    »Du willst mir wahrscheinlich sagen, dass ihn seine cholesterinreiche Ernährung sowieso bald umgebracht hätte.«

    »Ich versuche nur taktvoll zu sein. Ich hätte es nicht unbedingt so ausgedrückt, aber ja, du hast in wenigen Worten seinen Gesundheitszustand zusammengefasst. Hatte er Familie?«

    »Ja, mich ... Nein, nur mich. Er hatte eine Schwester, aber sie ist vor drei Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Deswegen habe ich ihn ja auch so wegen seiner schlechten Ernährung geschimpft. Vielleicht hätte ich ihn einfach in Ruhe lassen sollen, dann wäre er wenigstens glücklicher gestorben.«

    »Pete hatte ein glückliches Leben. Er hat seine Arbeit geliebt. Du weißt ja, dass er komplett in dich vernarrt war, oder? Ich weiß das, weil ich ihn beobachtet habe. Ich habe gesehen, wie er dir bei jedem deiner Worte an den Lippen hing. Er ... äh ... er hat mich auch gewarnt, dir zu nahezutreten, hat mir klipp und klar gesagt, dass ich es seiner Meinung nach nicht wert bin, dir auch nur die Schnürsenkel zuzubinden. Damals wusste ich nicht, was er mit diesem komischen Ausdruck meinte. Ich musste erst einen Kollegen fragen. Als ich es dann wusste, kam mir in den Sinn, dass er wahrscheinlich recht hatte.«

    War es etwa das, was Pete mir sagen wollte, bevor er starb? Warum habe ich das nur nicht mitbekommen, wenn es doch andere mitbekommen hatten? Der Gedanke, dass die beiden hinter ihrem Rücken über sie gesprochen hatten, gefiel ihr gar nicht. Wann und warum hatten sie über mich geredet? Was gab ihnen das Recht dazu? Doch sie fühlte sich nicht in der Lage, in ihrer derzeitigen Gemütsverfassung Jacques deswegen zur Rede zu stellen. Stattdessen versuchte sie, Petes Motive ihm gegenüber ins rechte Licht zu rücken.

    »Nimm’s nicht persönlich, Jacques. Er war wie ein Bruder zu mir. Wir haben gegenseitig aufeinander aufgepasst. Meine Familie war praktisch auch seine Familie. Er wollte nur Tom und Charlie beschützen. Oh Gott, ich fühle mich, als hätte ich einen Arm oder ein Bein verloren. Ich werde den alten Nörgler vermissen.«

    Jacques sagte nichts. Es passierte selten, dass er um Worte verlegen war, doch jetzt wollte ihm einfach nichts einfallen. Wenn er auf Französisch reden könnte, wäre es ihm vielleicht möglich, seine Gefühle auszudrücken, auf der anderen Seite aber wusste sie ja, dass er ihren Wunsch respektieren würde, ihr mit keinem billigen Trost zu kommen. Er wusste, wie nah sie und Pete sich gewesen waren. Zwischen ihnen bestand ein tiefes Verständnis, was nur sehr selten beim MET, dem Metropolitan Police Service, vorkam.

    Nachdem sie die grünen Kittel übergezogen hatten, gingen sie schweigend zum makellos sauberen und komplett neu eingerichteten Obduktionsraum. Bedeckt mit einem fast bodenlangen grünen Laken lag Petes unverwechselbare Gestalt auf dem ersten Edelstahltisch.

    Da wären wir also. Hi, Pete. Ich bin jetzt hier bei dir.

    Ihre Hand zitterte, als sie das Laken zurückschlug, doch ihre Beklemmung machte sofort einer großen Erleichterung Platz. Die Angst und der Schmerz, die in den letzten Augenblicken seines Lebens auf seinem Gesicht zu sehen gewesen waren, hatten sich verflüchtigt. Petes runde Gesichtszüge waren jetzt engelsgleich, gelöst und friedlich.

    Jacques stand hinter ihr. »Ist alles in Ordnung mit dir?« Er drückte ihre bebende Schulter.

    Sie war dankbar für seine Geste, und als sie die Schulter hob, kam ihre Wange auf seinem Handrücken zum Ruhen. »Ich werde es überleben, Jacques.«

    Der tröstende Augenblick dauerte ein paar Minuten.

    »Was passiert jetzt? Wann wird seine Leiche zur Beerdigung freigegeben?«

    »Wir müssen erst noch ein paar weitere Tests durchführen. Das sollte aber in ein paar Stunden geschehen sein. Das Beerdigungsunternehmen wird ihn gegen fünf Uhr abholen. Weißt du, was er sich gewünscht hätte? Ich meine, wollte er beerdigt oder eingeäschert werden?«

    »Das weiß ich gar nicht. Darüber haben wir nie gesprochen. Irgendwie kam das Thema nie zur Sprache. Warum auch? Wir dachten, wir wären unverwundbar.« Die Stimmung war jetzt umgeschlagen. Sie drehte sich zu ihm um. »Ich denke, dass er lieber eingeäschert werden würde. Er hat mir mal zu Hause im Garten geholfen und da ist ihm ein langer Wurm über die Hand gekrabbelt. Das hat ihn richtig angewidert.«

    »Ich glaube, du hast recht. Auch mir erscheint eine Einäscherung inzwischen immer sympathischer. Ich gehe mal davon aus, dass die Polizeibehörde ihm ein anständiges Begräbnis spendiert?«

    »Das sollten sie besser, weil sie es sonst mit mir zu tun bekommen. Hör zu, ich muss jetzt los. Tom wartet draußen auf mich.« Sie wurde rot, als sie den Namen ihres Ehemanns erwähnte.

    Sie wandte sich wieder Pete zu, drückte ihm einen Kuss auf die eiskalte Stirn und flüsterte ihm ins Ohr: »Bis dann, mein Freund. Danke für all die unzähligen Male, die du dich um mich gekümmert hast. Es tut mir so leid, dass ich mich nicht dafür revanchieren konnte.«

    Während sie den Obduktionsraum verließen, sagte Jacques: »Lorne, du darfst dir nicht die Schuld für das geben, was passiert ist. Pete hatte in der Vergangenheit schon ein paar Situationen, die fast ins Auge gegangen wären, und zu einem Einsatz mit einer offenen Weste zu gehen, das war, gelinde gesagt, ...«

    »Ich weiß. Ich bin im Augenblick einfach auf alles und jeden sauer. Auf Pete, weil er die Regeln mal wieder nicht eingehalten hat, auf mich, weil ich nichts gegen das total verkorkste System, für das wir arbeiten, unternehme. Aber selbst, wenn wir bewaffnet gewesen wären, hätten wir nicht viel ausrichten können. Wir sind in eine Falle gelaufen.«

    »Außerdem hat deine Eine-Frau-Kampagne nur wenig Aussicht auf Erfolg nach dem großen Tamtam um den De Menezes-Fall. Meiner Meinung nach wird es noch ein Weilchen dauern, bis das Land überhaupt daran denkt, seinen Polizisten Waffen in die Hand zu drücken. Fahr jetzt nach Hause und versuch, dich ein wenig auszuruhen. Sag mir Bescheid, wenn das Datum seiner Beerdigung feststeht. Ich möchte gern dabei sein. Und eins noch, chérie, ...«

    Sie hatte den Schutzkittel bereits abgestreift und wollte sich gerade die Schuhe anziehen, doch irgendetwas in seinem Tonfall ließ sie wieder zu seinen meerblauen Augen aufblicken.

    »Ich wollte dir nur sagen, dass du weißt, wo du mich finden kannst, wenn du eine Schulter brauchst, an der du dich ausweinen kannst.« Er klopfte sich leicht auf die Schulter und blinzelte ihr vielsagend zu.

    Nachdem sie in ihre Schuhe geschlüpft war, trat sie zu ihm, küsste ihn auf die Wange und drückte ihn fest an sich. »Danke, Jacques. Ich weiß es zu schätzen, dich als Freund zu haben.«

    Ohne auf eine Antwort zu warten, ging sie zum Ausgang. Sie hatte Angst davor, was passieren könnte, wenn sie noch länger bei ihm blieb. Sie gestattete sich noch einen kurzen Blick zurück, bevor sie die Tür hinter sich schloss. Seine hängenden Schultern ließen die Niedergeschlagenheit erkennen, die er wegen ihrer abweisenden Haltung empfand, und das zerriss ihr fast das Herz. Aber was konnte sie schon tun?

    KAPITEL 3

    »Mist!« Sie hatte eine rote Ampel übersehen und war schnurstracks daran vorbeigebraust. Das erboste Hupen des Fahrers hinter ihr klang ihr noch in den Ohren, als sie in den Parkplatz der Polizeistation einbog. Sie musste sich unbedingt am Riemen reißen. Außerdem würde sie sich gleich mit den mitleidigen Blicken und bedeutungslosen Beileidsbezeugungen ihrer Mitarbeiter auseinandersetzen müssen. Nachdem Lorne die Tür hinter dem Empfang und den äußeren Büros zugemacht hatte, schloss sie kurz die Augen und dankte Gott, dass alles gut gelaufen war. Das Nicken und das mitleidige Lächeln der Leute hatte sie gut weggesteckt.

    Auf ihrer Tagesordnung stand der Mord an Pete, und den aufzuklären hatte absoluten Vorrang. Um das ihren Kollegen im Dezernat für Schwerverbrechen klarzumachen, betrat sie mit entschlossenem Schritt den Raum.

    Schweigen schlug ihr entgegen. Sam O’Connor war wohl zum Sprecher aller Anwesenden auserkoren worden. Er stand auf und räusperte sich. »Ma’am, es tut uns leid, dass ...«

    Lorne hob die Hand. Enttäuscht von dem Verhalten ihrer Mitarbeiter waren ihre Worte harscher als beabsichtigt. »Das reicht. Ich weiß, was Sie mir sagen wollen. Es tut uns allen leid, was passiert ist, und niemandem mehr als mir selbst. Aber was ich von Ihnen jetzt erwarte, ist Handeln. Pete ist nicht mehr bei uns, aber solange ich atme, wird man ihn nicht vergessen. Dafür werde ich sorgen. Jetzt aber müssen wir den Schweinehund schnappen, der ihn auf dem Gewissen hat. Ich will, dass Sie alle hundertfünfzig Prozent geben. All unsere Energie muss dahin gehen, das Einhorn aufzuspüren. Und wenn wir ihn haben, dann trauern wir, haben Sie verstanden? Wenn ich nur einen von Ihnen dabei erwische, dass er sich nicht daran hält, wird er auf der Stelle suspendiert. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

    Es kam keine Antwort. Sie drehte ihnen den Rücken zu. Eine weitere Hürde wartete auf sie.

    Lorne öffnete ihre Bürotür und zögerte einen Augenblick. In der Luft schwebte noch ein Hauch von Petes Aftershave, Cool Water. Sie hatten diese Abstellkammer, die sie ihr Büro nannten, das letzte Jahr miteinander geteilt, weil in einer anderen Abteilung der Polizeistation Modernisierungen im Gang waren.

    »Darf ich offen sein, Ma’am?«

    Detective Sergeant John Fox’ Stimme erklang hinter ihr, was sie zwang, in ihr Büro zu treten.

    »Natürlich. Kommen Sie herein und nehmen Sie Platz. Was haben Sie auf dem Herzen, John?«

    »Äh ... Sie waren eben etwas schroff mit den anderen, Ma’am.«

    Er sackte auf

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