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Triumph Der Sonne
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Triumph Der Sonne

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About this ebook

Sudan 1884: Aufgrund jahrzehntelanger ottomanischer Missregierung bricht eine brutale Rebellion aus und ein Heliger Krieg entflammt. Der charismatische neue religiöse Anführer, der 'Madhi', der 'Lang Ersehnte' hat seine Kriegsherrn um sich gesammelt und die Hauptstadt von Khatum belagert. Der britische General CG Gordon, ein Mann von eisernem Willen, will, trotzdem er in den Stadtmauern gefangen ist, den Kampf riskieren und verhindern dass die Rebellion unter Mahdis Führung auf den Rest der islamischen Welt übergreift.

Vor diesem abenteurlichen und blutigen Belagerungshintergrund kämpfen drei mächtige Männer ums Überleben: Der britische Kaufmann Ryder Courtney, der erfahrene Soldat und Schwertkämpfer Captain Penrod Ballantyne des 10ten Hussarenregiments und der britische Konsul David Benbrook, der seine 3 wunderschönen Töchter beschützen muss.

Wilbur Smith hat in seinem unnachahmlichen Erzählstil mit 'Triumph der Sonne' wieder ein Meisterwerk von einem Buch reich an historischem Detail hingelegt.
LanguageEnglish
Release dateOct 15, 2016
ISBN9781786690883
Triumph Der Sonne
Author

Wilbur Smith

Described by Stephen King as “the best historical novelist,” WILBUR SMITH made his debut in 1964 with When the Lion Feeds and has since sold more than 125 million copies of his books worldwide and been translated into twenty-six different languages. Born in Central Africa in 1933, he now lives in London.

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    Book preview

    Triumph Der Sonne - Wilbur Smith

    cover.jpg

    TRIUMPH DER SONNE

    Wilbur Smith

    Beginn der Lesung

    Über das Buch

    Über den Autor

    Inhaltsverzeichnis

    www.headofzeus.com

    Über Triumph Der Sonne

    img1.jpg

    An der Stelle, wo sich Weißer Nil und Blauer Nil treffen, bricht ein Heiliger Krieg aus und die Britische Garnison in Khartum wird gnadenlos belagert.

    Sudan 1884: Aufgrund jahrzehntelanger osmanischer Missregierung bricht eine brutale Rebellion aus und ein Heiliger Krieg entflammt. Der charismatische neue religiöse Anführer, der ‘Mahdi’, der ‘Lang Ersehnte’ hat seine Kriegsherren um sich gesammelt und die Hauptstadt von Khatum belagert. Der britische General CG Gordon, ein Mann von eisernem Willen, möchte, obwohl er innerhalb der Stadtmauern gefangen ist, den Kampf riskieren und verhindern, dass die Rebellion unter Mahdis Führung auf den Rest der islamischen Welt übergreift.

    Vor diesem abenteuerlichen und blutigen Belagerungshintergrund kämpfen drei mächtige Männer ums Überleben: der britische Kaufmann Ryder Courtney, der erfahrene Soldat und Schwertkämpfer Captain Penrod Ballantyne des 10ten Husarenregiments und der britische Konsul David Benbrook, der seine drei wunderschönen Töchter beschützen muss.

    Wilbur Smith hat in seinem unnachahmlichen Erzählstil mit ‘Triumph der Sonne’ wieder ein Meisterwerk von einem Buch reich an historischem Detail hingelegt.

    *

    ‘Ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Triumph der Sonne ist eines seiner allerbesten Bücher.’

    The Daily Mail (UK)

    Für meine geliebte Gefährtin,

    meine Ehefrau und beste Freundin

    Mokhiniso Rakhimova Smith

    Die Erde brennt im unstillbaren Durst aller Zeiten

    und am stahlblauen Himmel hindert kaum eine Wolke

    den unerbittlichen Triumph der Sonne.

    The River War, Winston S. Churchill, 1905

    Inhaltsverzeichnis

    Abdeckung

    Startseite

    Über Triumph Der Sonne

    Hingabe

    Epigraph

    Triumph Der Sonne

    Glossar

    Über Wilbur Smith

    Von Wilbur Smith

    Copyright

    Die Wüstenhitze blies Rebecca ins Gesicht wie der Atem eines Hochofens. Selbst der Strom, auf den sie blickte, schien zu dampfen wie ein Hexenkessel. Der Strom war nun fast eine Meile breit, denn es war Hochwasserzeit, und an der Oberfläche in der Strömung funkelten reißende Wirbel in der Strömung. Der Weiße Nil war eine stinkende grüne Flut, die Farbe der Sümpfe, durch die er kurz zuvor geflossen war, Sümpfe, die sich über ein Gebiet von der Größe Belgiens erstreckten. Die Araber nannten diese riesigen Sumpfauen den Bahr el Ghazal. Für die Briten war es der »Sud«.

    In den kühleren Monaten des vergangenen Jahres war Rebecca mit ihrem Vater stromaufwärts gefahren, zu der Stelle, wo der Fluss sich aus den Sümpfen ergießt, aus unergründlichen, auf keiner Karte vermerkten Kanälen und Lagunen. Die Wasserläufe lagen unter dichten Grasteppichen verborgen, sodass sie nur für die tüchtigsten und erfahrensten Flussschiffer sichtbar waren. Diese nasse, fieberverseuchte Welt war das Reich des Krokodils und des Flusspferds, unzähliger fremdartiger Vögel, manche wunderschön, andere grotesk, und des Sitatunga, jener skurrilen amphIbischen Antilopenart mit Korkenzieherhörnern, zottigem Fell und gestreckten Hufen, angepasst an das Leben im Wasser.

    Eine dichte blonde Locke fiel ihr in die Stirn, als sie den Blick nach Norden wandte, auf die Stelle zu, wo die beiden großen Ströme zusammenflossen. Der Anblick faszinierte sie auch nach zwei langen Jahren immer wieder. Auf der Mitte des Weißen Nils trieb eine große Schilfmatte, die sich aus den Sümpfen losgerissen hatte, auf die Katarakte zu, wo sie sich auflösen würde in den Stromschnellen, die weit im Norden den ruhigen Lauf des Nils aufwühlten. Rebecca verfolgte die Grasinsel auf ihrer gemächlichen Reise bis zum Zusammenfluss der beiden Nilströme.

    Der andere Nil kam von Osten herunter, frisch und süß wie die Gebirgsquelle, die ihn ursprünglich speiste, in der Hochwasserzeit aber blassblaugrau von dem Schlick, den er aus den Bergen Abessiniens mitbrachte. Diese Färbung hatte dem Strom seinen Namen gegeben. Der Blaue Nil, wenngleich etwas schmaler als sein Bruder, war ebenfalls ein mächtiger Strom, der sich in weiten Bögen auf die Stelle zu wälzte, wo sie sich treffen würden, an der Spitze des Landdreiecks, auf dem die Stadt sich erhob, die nach dem Stoßzahn des Elefanten benannt war: Khartum. Die beiden Nilströme mischten sich nicht sofort. So weit Rebecca flussabwärts blicken konnte, flossen sie nebeneinander im selben Flussbett, jeder in seiner eigenen Farbe, mit eigenem Charakter, bis sie zwanzig Meilen weiter nördlich, am Eingang zur Shabluka-Schlucht, in schäumender Vereinigung aufgingen.

    »Du hörst mir nicht zu, meine Liebe«, sagte ihr Vater scharf. Er saß an seinem Schreibtisch hinten im Zimmer.

    Rebecca drehte sich um. »Entschuldige, Vater«, lächelte sie, »ich musste an etwas anderes denken.«

    »Ich weiß, ich weiß, wir machen schwierige Zeiten durch«, fuhr er fort, »aber du musst damit fertig werden; du bist kein Kind mehr, Becky.«

    »Das bin ich gewiss nicht«, bekräftigte sie. Sie wollte sich nicht beklagen. Sie beklagte sich nie. »Ich bin jetzt siebzehn, seit einer Woche. Das ist das Alter, in dem meine Mutter dich geheiratet hat.«

    »Und nun musst du sie als meine Hausfrau vertreten.« Er dachte wieder an seine geliebte Gattin – und an den grausamen Tod, den sie erlitten hatte.

    »Mein lieber Vater, jetzt widersprichst du dir aber«, lachte sie. »Wenn ich das wirklich tun soll, wie kannst du mich dann bedrängen, ich solle dich hier zurücklassen?«

    David Benbrook schüttelte die dunklen Gedanken ab und lachte mit ihr. Sie war so hübsch und gescheit, dass er sich selten gegen sie wehren konnte. »Du bist genau wie deine Mutter.« Dieser Ausspruch war gewöhnlich die weiße Fahne, mit der er seine Kapitulation signalisierte, doch heute wollte er sich nicht so einfach geschlagen geben. Rebecca schaute wieder nach draußen, über den Fluss hinweg. Sie ignorierte ihn nicht, hörte ihm aber auch nicht richtig zu. Nun, da ihr Vater sie an die furchtbare Gefahr erinnert hatte, in der sie schwebten, spürte sie wieder die kalte Angst, die eisige Beklemmung tief in der Magengrube.

    Sie blickte auf das Häusergewirr, das sich am anderen Ufer dicht ans Wasser drängte, die Stadt der Eingeborenen, Omdurman, ockergelb wie die Wüste, von der sie umgeben war. Die Gebäude dort wirkten aus der Entfernung winzig wie Puppenhäuser, verschwommen in der flirrenden Hitze, und dennoch war die Bedrohung, die diese Stadt ausstrahlte, so erbarmungslos wie die Sonnenhitze. Die Trommeln verstummten nie, nicht am Tage und nicht in der Nacht, wie der Herzschlag dieses Ungeheuers, ständige Erinnerung an die tödliche Gefahr, in der sie schwebten. Rebecca konnte ihn vor sich sehen, wie er in der Mitte seines Spinnnetzes saß und zu ihnen herüberstarrte, der Fanatiker mit seinem unstillbaren Durst nach Menschenblut. Bald würde er über sie herfallen mit seinen Horden. Sie schüttelte sich und konzentrierte sich schließlich darauf, was ihr Vater zu sagen hatte.

    »Sicher, du magst so tapfer und starrsinnig sein wie einst deine liebe Mutter, aber denke bitte auch an die Zwillinge, Becky, denke an die Babys. Das sind jetzt deine Babys.«

    »Jeden wachen Augenblick denke ich an meine Verantwortung für die beiden«, brauste sie auf, bevor sie ihren Zorn kontrollierte und wieder lächelte, das Lächeln, mit dem sie ihren Vater stets zu erweichen vermochte. »Aber ich denke auch an dich.« Sie kam zu ihm, legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich werde die Mädchen von hier fortbringen, aber nur wenn du mitkommst, Vater.«

    »Das kann ich nicht, Becky, ich habe hier meine Pflicht zu erfüllen. Ich bin der Generalkonsul der Königin, ich habe einen heiligen Eid abgelegt. Mein Platz ist hier in Khartum!«

    »Dann ist dies auch mein Platz«, entgegnete sie schlicht. Sie streichelte sein Haar, das immer noch dicht und kräftig war, wenn auch von immer mehr silbernen Strähnen in der schwarzen Pracht durchzogen. Er war ein hübscher Mann. Oft bürstete sie ihm das Haar und trimmte und zwirbelte ihm den Schnauzbart und war dabei so stolz auf ihn wie einst ihre Mutter.

    Er seufzte und war im Begriff, sie weiter zur Flucht zu drängen, doch in diesem Augenblick hallten schrille Kinderschreie durch das offene Fenster. Sie zuckten zusammen. Sie kannten diese Stimmen, sie spürten sie im Herzen. Rebecca lief zum Fenster, und David sprang von seinem Sessel auf, dann wieder diese Schreie, doch nun erkannten sie erleichtert, dass sie der Aufregung, nicht dem Schrecken entsprangen.

    »Sie sind auf dem Wachturm«, sagte Rebecca.

    »Ich habe ihnen verboten, dort hinaufzugehen.«

    »Du hast ihnen viele Orte verboten«, bemerkte Rebecca, »und genau da sind sie gewöhnlich zu finden.« Sie gingen aus dem Zimmer, Rebecca voran, hinaus auf den steingetäfelten Korridor, an dessen Ende eine Wendeltreppe zur Turmspitze führte. Rebecca hob ihre Petticoats und sprang flinken und sicheren Schrittes die Stufen hinauf. Ihr Vater folgte ihr in gemütlicherem Tempo. Schließlich trat sie in den gleißenden Sonnenschein auf dem oberen Balkon des Türmchens.

    Die Zwillinge hüpften gefährlich dicht vor der niedrigen Brüstung herum. Rebecca packte sie mit je einer Hand und zog sie zurück. Dann schaute sie von der Höhe des Konsulpalastes auf die Dächer und Minarette Khartums hinab, die vor ihr ausgebreitet lagen, und auf die beiden Nilläufe, die über viele Meilen flussauf- und flussabwärts zu sehen waren.

    Saffron versuchte sich loszureißen, doch Rebecca hielt sie am Arm fest. »Die Ibis!«, rief das Kind aufgeregt. »Da! Die Ibis!« Sie war die größere und dunklere der beiden Zwillingsmädchen, wild und eigensinnig wie ein Junge.

    »Die Ibis«, zwitscherte Amber, blond und zierlicher als ihre Schwester. Ihre Stimme klang wie Gesang, selbst wenn sie aufgeregt war. »Es ist Ryder auf der Ibis

    »Für euch ist das immer noch Mr. Ryder Courtney«, korrigierte sie Rebecca. »Ihr dürft Erwachsene niemals beim Vornamen nennen, merkt euch das.« Die beiden Kinder kümmerten sich nicht um diesen Tadel und schauten ebenso wie Rebecca den Weißen Nil hinauf, wo das hübsche weiße Dampfschiff mit der Strömung herankam.

    »Es sieht aus, als wäre es aus Zuckerguss«, sagte Amber, die Familienschönheit mit ihren Engelszügen, der kecken Stupsnase und den großen blauen Augen.

    »Das sagst du jedes Mal, wenn das Schiff hier ankommt«, bemerkte Saffron gutmütig. Sie war das genaue Gegenstück zu Amber: honigbraune Augen, winzige Sommersprossen, die ihre hohen Wangenknochen betonten, und ein breiter, lachender Mund. Sie hatte ein schelmisches Funkeln in diesen Honigaugen, als sie zu Rebecca aufschaute. »Ryder ist dein Beau, nicht wahr?« ›Beau‹ war das neueste Wort in Saffrons wachsendem Vokabular, doch da sie es nur in Zusammenhang mit Ryder Courtney benutzte, fand Rebecca es ziemlich unverschämt. Es machte sie geradezu wütend, aus welchem Grund auch immer.

    »Das ist er nicht!«, zischte Rebecca von oben herab. »Und sei nicht so frech, du kleiner Klugschnabel.«

    »Er bringt tonnenweise Lebensmittel!« Saffron zeigte auf die vier flachbäuchigen Kähne, die die Ibis im Schlepptau hatte.

    Rebecca ließ die Zwillinge los und hielt sich beide Hände über die Augen, um den strahlenden Sonnenschein abzuschirmen. Saffron hatte Recht, wie sie nun sehen konnte. Auf zweien der Kähne waren Säcke voll Durrahirse gestapelt, dem Hauptnahrungsmittel im Sudan. Die anderen beiden trugen gemischte Fracht. Ryder war einer der reichsten Kauffahrer auf den beiden Strömen. Er hatte Handelsposten in Abständen von hundert Meilen an den Ufern der beiden Nile, von der Mündung des Atbara, eines Nebenflusses im Norden, bis nach Gondokoro und dem fernen Äquatoria im Süden, und nach Osten den Blauen Nil hinauf bis ins abessinische Hochland.

    David kam nun ebenfalls auf den Balkon. »Gott sei Dank, dass er hier ist«, sagte er leise zu Rebecca, »das ist deine letzte Chance, zu entkommen. Courtney kann dich und Hunderte andere Flüchtlinge nach Norden bringen, wo euch der Mahdi nicht in seine boshaften Klauen bekommen kann.«

    Noch während er sprach, hörten sie einen einzelnen Kanonenschuss von der anderen Seite des Weißen Nils. Sie fuhren herum, sahen den Pulverrauch, der aus der Mündung eines der Krupp-Geschütze der Derwische am anderen Ufer quoll, und im nächsten Augenblick spritzte Wasser auf, wie aus einem Geysir, in der Mitte des Stroms, hundert Meter vor dem sich nähernden Dampfer, blassgelber Schaum von der Lyddite-Ladung der explodierten Granate.

    Rebecca schlug sich die Hände vors Gesicht, um nicht vor Schreck aufzuschreien, doch David bemerkte trocken: »Hoffen wir, dass sie nicht plötzlich das Zielen gelernt haben.«

    Die anderen Geschütze der Derwischbatterien fielen eines nach dem anderen in eine lange, rollende Kanonade ein. Das Wasser um das kleine Boot herum brodelte und kochte von den explodierenden Geschossen, und die Schrapnellscherben peitschten die Oberfläche wie ein tropischer Regenguss.

    Die großen Trommeln der Mahdi-Armee donnerten herausfordernd, und die Ombeya-Hörner bliesen zum Angriff. Zwischen den Lehmhütten kamen Reiter auf Pferden und Kamelen hervor, schwärmten aus und galoppierten am Ufer entlang, auf Höhe der Ibis.

    Rebecca lief zu dem langen Messingfernrohr, das ihr Vater auf einem Stativ am anderen Ende der Brüstung aufgebaut hatte. Es war stets auf die feindliche Zitadelle jenseits des Flusses gerichtet. Rebecca stellte sich auf die Zehenspitzen, um an das Okular zu kommen, und stellte geschwind die Schärfe ein. Dann schwenkte sie das Teleskop über die Mahdi-Kavallerie, halb verhüllt in den roten Staubwolken, die die galoppierenden Reittiere aufwirbelten. Sie schienen so nah, dass sie die grimmigen dunklen Gesichter sehen und fast die Beschwörungen und Drohungen von den Lippen ablesen konnte und den gefürchteten Schlachtruf, der zu ihnen herüberhallte: »Allah Akbar! Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet!«

    Die Reiter waren die Ansar, die Helfer, die Leibgarde des Mahdi, allesamt in Dschibbas gekleidet, den Flickengewändern, die an die Lumpen erinnern sollten, in die sie sich zu Beginn dieses Dschihad gegen die Gottlosen, die Ungläubigen, zu hüllen hatten, da sie sonst keine Kleider besaßen. Nur mit Speeren und Steinen bewaffnet, hatten die Ansar in den vergangenen sechs Monaten drei westliche Armeen vernichtet und die Soldaten bis auf den letzten Mann hingemacht. Nun hielten sie Khartum unter Belagerung und ritten stolz einher, in ihren symbolischen Gewändern als Zeichen ihrer unbezähmbaren Tapferkeit und ihres Glaubens an Allah und seinen Mahdi, den Verheißenen, sie schwangen ihre beidhändigen Schwerter und feuerten die Martini-Henry-Karabiner, die sie von ihren geschlagenen Feinden erbeutet hatten.

    In den Monaten der Belagerung hatte Rebecca dieses kriegerische Schauspiel oft genug beobachten können. Also schwenkte sie das Fernrohr über den Wald von Schaum und Spritzwasser hinweg, den die Granaten aus dem Fluss wachsen ließen, bis sie die offene Brücke des Dampfers im Visier hatte. Eine vertraute Gestalt, Ryder Courtney, stand über die Reling gelehnt und schaute mit mildem Interesse zu den Männern hinaus, die ihn gerade umzubringen versuchten. Im nächsten Augenblick richtete er sich auf, nahm den langen schwarzen Stumpen aus dem Mund und sagte etwas zu seinem Steuermann, der dann gehorsam das Rad drehte, sodass die Kielwasserschleppe der Ibis sich zum Khartum-Ufer des Flusses zu biegen begann.

    Saffron mochte sie damit necken, doch Rebecca empfand keinerlei romantische Gefühle, wenn sie Courtney sah. Sie musste lächeln: Was waren solche Gefühle überhaupt? Würde sie sie wohl erkennen? Wahrscheinlich nicht. Sie betrachtete sich als immun gegen so weltliche Dinge – nicht jedoch gegen die Bewunderung für Ryders Gelassenheit in solcher Gefahr, und dann Wärme, wie man sie einem Freund gegenüber empfindet. »Ich darf doch wohl eingestehen, dass wir Freunde sind, warum nicht?«, versicherte sie sich im Stillen. Um sein Leben fürchtend, flüsterte sie ein Gebet.

    Und Gott schien ihr sein Ohr zu schenken, denn im nächsten Augenblick riss ein stählernes Schrapnell ein ausgefranstes Loch in den Schornstein direkt über Ryders Kopf. Schwarzer Rauch quoll aus dem Loch, doch Ryder blickte sich nicht einmal um, sondern nahm seine Zigarre wieder zwischen die Lippen und blies eine lange Tabakrauchfahne in den Wind. Er trug ein ziemlich schmutziges weißes Hemd mit offenem Kragen und aufgerollten Ärmeln. Mit einem Daumen schnippte er sich den breitkrempigen Palmwedelhut aus der Stirn. Auf den ersten Blick wirkte er untersetzt, doch das täuschte durch die Breite und Ausformung seiner Schultern und den Umfang seiner durch harte körperliche Arbeit gestählten Oberarme. Die schmalen Hüften und die Art, wie er den arabischen Steuermann an seiner Seite überragte, straften den ersten Eindruck Lügen.

    David hielt seine beiden jüngeren Töchter an den Händen fest und beugte sich über die Brüstung, um jemandem unten im Hof etwas zuzurufen.

    »Verehrter General, könnten Sie Ihre Kanoniere vielleicht dazu bewegen, das Feuer zu erwidern, um die Hunde von Mr. Courtneys Boot abzulenken?«, fragte er in höflichstem Ton.

    Rebecca folgte dem Blick ihres Vaters und sah, dass er den kommandierenden Offizier der ägyptischen Garnison meinte, der für die Verteidigung der Stadt verantwortlich war. General Charles »China« Gordon war ein Held des Empire, siegreich in Kriegen auf allen Erdteilen. Seinen Spitznamen hatte er sich mit seiner legendären Ever Victorious Army in Ostasien verdient. Er war aus seinem Hauptquartier im Südflügel des Palasts erschienen, wie immer mit einem roten Blumentopffez auf dem Kopf.

    »Der Befehl an die Geschütze ist bereits ergangen!«, rief Gordon zum Turm hinauf. Rebecca konnte ihn deutlich hören. Seine Stimme übertönte das lauteste Schlachtgetöse und klang ein wenig verärgert: Er hatte es nicht nötig, dass ihn jemand an seine Pflichten erinnerte.

    Ein paar Minuten später eröffnete die ägyptische Artillerie in ihren Stellungen am Stadtufer ein schwächliches Ablenkungsfeuer. Die Geschütze waren Krupp-Sechspfünder-Berghaubitzen kleinen Kalibers und veralteter Bauart. Von der antiken Munition war nicht mehr viel übrig, und was noch da war, neigte zum Versagen. Für die für ihre Unfähigkeit bekannten ägyptischen Soldaten war das Feuer jedoch erstaunlich genau. Das lag daran, dass die Kanoniere auf beiden Ufern seit Beginn der Belagerung Monate Zeit gehabt hatten, die Geschütze aufeinander einzurichten. So pufften direkt über den Derwischbatterien vereinzelte schwarze Schrapnellwolken in den klaren Himmel, und das Feuer der Mahdisten wurde deutlich schwächer. Der weiße Dampfer, immer noch ohne nennenswerten Schaden, erreichte den Zusammenfluss der beiden Ströme, und die Schleppkähne folgten ihm in einer scharfen Wende in die Mündung des Blauen Nils, sodass die Gebäude der Stadt ihnen bald Deckung boten und die Geschütze am Westufer, ihres Ziels beraubt, schließlich verstummten.

    »Bitte lass uns zum Kai hinuntergehen und ihn begrüßen!« Saffron zog ihren Vater auf die Treppe zu. »Komm, Becky, lass uns gehen und deinen Beau in Empfang nehmen.«

    Auf dem Weg durch die vernachlässigten, sonnengebleichten Palastgärten sahen sie, dass auch General Gordon zum Hafen unterwegs war. Ein paar seiner ägyptischen Offiziere stolperten hinter ihm her. Vor dem Tor war die Gasse von einem toten Pferd halb blockiert. Es hatte seit zehn Tagen dort gelegen, getötet von einem verirrten Geschoss der Derwische. Der Bauch war aufgequollen, und in den klaffenden Wunden wimmelte es von weißen Maden. Fliegen umsummten es in einer dichten blauen Wolke. Der schweflige Gestank des faulenden Pferdefleischs mischte sich mit den anderen Gerüchen der belagerten Stadt. Jeder Atemzug drohte Rebecca in der Kehle stecken zu bleiben und den Magen umzudrehen. Sie beherrschte sich jedoch, um sich selbst und dem Amt ihres Vaters keine Schande zu machen.

    Die Zwillinge übertrafen einander darin, wie angeekelt sie sich zeigen konnten. »Puh!«, riefen sie, »uah, wie das stinkt!«, und dann beugten sie sich vornüber und taten so, als müssten sie sich übergeben, bevor sie vor Vergnügen johlten und sich gegenseitig gratulierten zu dem Drama, das sie aufführten.

    »Macht, dass ihr wegkommt, ihr kleinen Wilden!« David fuchtelte mit seinem silberverzierten Stock. Die Mädchen kreischten in gespieltem Entsetzen und rannten Richtung Hafen, über die Trümmerhaufen von bombardierten und ausgebrannten Häusern. Rebecca und David folgten ihnen so schnell sie konnten, doch noch bevor sie am Zollhaus vorbei waren, gerieten sie in die Massen, die sich in dieselbe Richtung bewegten, ein rauschender Strom von Menschenkindern – Bettler und Krüppel, Sklaven und Soldaten, reiche Damen mit ihren Dienern und halbnackte Galla-Huren, Mütter mit Babys auf dem Rücken und weinenden Kindern an jeder Hand, Beamte und fette Sklavenhändler mit Gold und Diamanten an den Fingern. Und alle wollten dasselbe. Sie wollten sehen, was der Dampfer geladen hatte und ob er einen Funken Hoffnung auf ein Entkommen aus der kleinen Hölle versprach, zu der Khartum geworden war.

    Bald waren die Zwillinge von der Menschenmasse umdrängt. David nahm Saffron auf die Schultern, Rebecca nahm Amber bei der Hand, und sie schoben sich weiter auf den Hafen zu. Die Leute erkannten jedoch die hochgewachsene, imposante Gestalt des britischen Konsuls und machten ihm Platz. So erreichte die Gruppe den Hafen nur wenige Minuten nach General Gordon, der sie nun zu sich rief.

    Die Ibis dampfte quer zur Strömung. Sobald sie in ruhigerem, geschütztem Wasser hundert Meter vor dem Ufer war, warfen sie die Schlepptaue ab, und die vier Kähne ankerten in Reih und Glied mit dem Bug gegen die starke Strömung des Blauen Nils. Ryder Courtney postierte bewaffnete Männer auf jedem Kahn, um die Fracht vor Plünderern zu schützen. Dann übernahm er das Steuer des Dampfers und manövrierte ihn auf den Kai zu.

    Sobald er in Hörweite war, kreischten die Zwillinge ihre Willkommensgrüße: »Ryder, wir sind hier! Hast du uns etwas mitgebracht?« Er hörte sie über den Tumult hinweg, und dann sah er Saffron auf ihres Vaters Schultern. Er schnippte seinen Stumpen über Bord und griff nach der Leine der Schiffspfeife, die im nächsten Augenblick einen singenden Dampfstrahl in die Luft blies, während Ryder dem Mädchen eine Kusshand zuwarf.

    Saffron kicherte und zappelte wie ein Hündchen. »Ist er nicht der hübscheste Beau der Welt?«, jauchzte sie zum Missfallen ihrer großen Schwester.

    Rebecca tat, als hätte sie nichts gehört, doch nun war sie es, für die Ryder den Hut von seinem verschwitzten Lockenkopf hob. Sein Gesicht und seine Arme, braun gebrannt von der Wüstensonne, hatten den Farbton und Glanz von poliertem Teakholz, bis auf den schmalen Streifen unter dem Haaransatz, den der Hut bedeckte. Rebecca erwiderte sein Lächeln und beehrte ihn mit einem raschen Knicks. Saffron hatte recht: Er war wirklich ausgesprochen hübsch, dachte sie, besonders wenn er lächelte. Doch diese Falten in den Augenwinkeln – er ist bestimmt steinalt, mindestens dreißig.

    »Ich glaube, er macht dir schöne Augen«, sagte Amber mit ernster Stimme.

    »Hör lieber mit diesem infernalischen Unsinn auf, Fräuleinchen«, warnte sie Rebecca.

    »Infernalischer Unsinn... Fräuleinchen«, echote Amber leise. Die Worte gefielen ihr, sie würde sie sich merken und bei nächster Gelegenheit an Saffron ausprobieren.

    *

    Draußen auf dem Fluss musste Ryder Courtney sich nun darauf konzentrieren, die Ibis an ihren Liegeplatz zu manövrieren. Er drehte den Bug direkt in die Strömung und hielt ihn dort durch wohldosierten Einsatz der Maschinenkraft, bevor er das Ruder umlegte und den Dampfer längsseits an die Kaimauer treiben ließ, bis die stählerne Schiffswand die Fendermatten küsste, die an der Kaimauer herunterhingen. Die Mannschaft warf die Anlegetaue den Männern auf der Landebrücke zu, die die Enden fingen und das Schiff festmachten. Ryder kurbelte am Telegrafen und Jock McCrump steckte seinen schmierigen Kopf durch die Maschinenraumluke. »Aye, Skipper?«

    »Halte den Kessel unter Dampf, Jock, vielleicht müssen wir gleich wieder ablegen.«

    »Aye, Skipper. Ich will keinen dieser stinkenden Wilden auf meinem Schiff.« Jock wischte sich mit einem Baumwolllappen die schwarze Schmiere von den Händen.

    »Übernimm das Kommando«, befahl ihm Ryder, bevor er über die Reling auf die Landebrücke sprang. Dort ging er schnurstracks auf General Gordon zu, der mit seinem Stab auf ihn wartete, doch bevor er ein Dutzend Schritte gemacht hatte, fand er sich von der Menge gefangen wie ein Fisch im Netz.

    Ein drängelnder Haufen von Ägyptern und anderen Arabern zerrte an seinen Kleidern. »Effendi, bitte, Effendi, ich habe zehn Kinder und vier Frauen. Bringt uns hier heraus auf eurem feinen Schiff«, bettelten sie auf Arabisch und in gebrochenem Englisch. Dabei hielten sie ihm Bündel von Banknoten unter die Nase. »Hundert ägyptische Pfund, das ist alles, was ich habe, nehmt es, Effendi, und Allah wird euch ein langes Leben schenken, dafür werde ich beten.«

    »Das Gold eurer Königin!«, bot ein anderer und ließ die Münzen in seinem Leinenbeutel klimpern.

    Frauen nahmen ihren Schmuck ab – schwere Goldarmbänder, Ringe und Halsketten mit funkelnden Edelsteinen. »Nehmt uns mit, mich und mein Baby, nehmt uns mit, hoher Herr!« Sie drückten ihm ihre Kinder an die Brust, winzige, winselnde Bündel, hohlwangig vor Hunger, manche mit Wunden und offenen Geschwüren bedeckt, die Zeichen des Skorbuts, die Lendentücher tabakgelb vom flüssigen Durchfall der Cholera. Sie schoben und rangen um seine Nähe. Eine Frau wurde umgestoßen, sank auf die Knie und ließ ihr kleines Kind fallen, vor die Füße der wogenden Menschenmasse. Die Schreie des Babys wurden immer schwächer unter dem Getrampel, und schließlich zerbrach eine eisenbeschlagene Sandale den hauchdünnen Schädel, und das Kind lag ganz still im Staub wie eine weggeworfene Puppe.

    Ryder Courtney stieß einen Wutschrei aus und schlug mit geballten Fäusten um sich. Mit einem Kinnhaken streckte er einen fetten türkischen Kaufmann nieder, dann warf er sich mit der Schulter voran in die Menge. Die Leute ließen ihn durch, doch einige versuchten nun auf andere Weise ihr Glück. Sie drängten zur Ibis vor und versuchten, an Deck zu klettern.

    Jock McCrump empfing sie an der Reling, mit einem schweren Engländer in der Faust und fünf mit Bootshaken und Brandäxten bewaffneten Matrosen im Rücken. Der Erste, der an Bord zu kommen versuchte, bekam den Schraubenschlüssel über den Schädel gezogen. Er fiel in den schmalen Streifen Wasser zwischen dem Schiff und der Kaimauer und verschwand unter Wasser, ohne noch einmal aufzutauchen.

    Ryder erkannte die Gefahr und machte kehrt auf sein Schiff zu, doch selbst für ihn war die dicht gepackte Menschenmenge nun eine undurchdringliche Mauer.

    »Jock, legt ab und ankert neben den Kähnen!«, rief er seinem Bootsmann zu.

    Jock sprang auf die Brücke und gab der Mannschaft einen knappen Befehl. Die Männer verschwendeten keine Zeit damit, die Leinen loszumachen, sondern kappten sie mit wenigen präzisen Axthieben. Die Ibis drehte den Bug in die Strömung, doch bevor sie frei manövrieren konnte, versuchten weitere Flüchtlinge über die Lücke zu springen. Vier fielen ins Wasser und wurden von der reißenden Strömung davongetragen. Einer konnte sich an die Reling klammern und hing an der Seite hinunter. Er versuchte, sich hochzuziehen und flehte die Matrosen an Bord um Gnade an.

    Bachit, der arabische Bootsmann, trat an die Reling über ihm und hackte ihm mit einem einzigen sauberen Axthieb alle vier Finger der rechten Hand ab, die nun wie braune Würstchen auf das Stahldeck fielen. Der Flüchtling fiel kreischend in den Fluss, und Bachit schob mit dem Fuß die Finger über Bord, wischte die Klinge an seinem Hemd ab und ging nach vorn, um den Buganker aus seinem Fach zu brechen. Jock wendete den Dampfer quer zur Strömung und fuhr hinaus, um an der Spitze der Kahnreihe zu ankern.

    Die Menge heulte vor Verzweiflung, doch sie wussten aus Erfahrung, was es bedeutete, wenn Ryder finster die Fäuste vor ihnen ballte, und sie machten ihm wieder Platz. General Gordon hatte inzwischen eine seiner Schwadronen herbeibefohlen, den Krawall zu zerstreuen, und nun rückten die Soldaten in geschlossener Reihe vor, mit aufgepflanzten Bajonetten und bereit, mit den Gewehrkolben jeden niederzuknüppeln, der sich ihnen in den Weg zu stellen wagte. Die Menge teilte sich vor ihnen, und die Männer, Frauen und Kinder verschwanden in den engen Gassen der Stadt. Nur das tote Baby und die verzweifelte Mutter blieben zurück, und vielleicht ein halbes Dutzend Verletzte, die benommen in ihrem eigenen Blut saßen. Der Türke, den Ryder niedergestreckt hatte, lag friedlich schnarchend auf dem Rücken.

    Ryder schaute sich nach David und seinen Töchtern um, doch offenbar hatte der Konsul die Vernunft gehabt, seine Familie in Sicherheit zu bringen, zurück in den Palast, sobald er die ersten Zeichen des Aufruhrs bemerkte. Ryder war erleichtert. Dann sah er General Gordon zwischen dem Unrat und den Verletzten hindurch auf ihn zukommen.

    »Guten Tag, General.«

    »Wie geht’s, Mr. Courtney? Willkommen in Khartum. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise.«

    »Äußerst angenehm, Sir. Wir sind gut durch die Sümpfe gekommen. Die Fahrrinne ist um diese Jahreszeit gut zu erkennen, es war also nicht nötig, uns an Wurfankern durch den Sud zu hangeln.« Keiner der beiden erwähnte den Spießrutenlauf, den der Dampfer durch den Beschuss der Derwischbatterien zu vollführen hatte, oder den Aufruhr, der sie in der Stadt begrüßt hatte, mit einem einzigen Wort.

    »Sie sind schwer beladen, Sir.« Gordon, fast zwanzig Zentimeter kleiner als Ryder Courtney, schaute mit seinen unvergesslichen Augen, blau wie der Mittagshimmel über der Wüste, zu Ryder auf. Der zwingende, fast hypnotische Blick dieser Augen war das äußere Zeichen des eisernen Glaubens, den Gordon in sich trug, des Glaubens an sich selbst und an seinen Gott.

    Ryder begriff sofort, worauf Gordon hinauswollte. »Ich habe fünfzehnhundert Sack Durra auf meinen Kähnen, jeder zehn Zentner schwer.«

    Gordons Augen funkelten wie Saphire. Er klapste sich mit dem Reitstock auf den Oberschenkel. »Gut gemacht, Sir, sehr gut. Die Garnison und die ganze Bevölkerung sind ziemlich knapp dran. Ihre Fracht könnte uns im Futter halten, bis die Entsatztruppen aus Kairo hier sind.«

    Ryder Courtney kniff verblüfft die Augen zusammen: Wie kam der General zu solchem Optimismus? An die 30000 Seelen saßen hier in dieser Stadt fest, und die würden selbst auf Hungerrationen hundert Sack Korn pro Tag verschlingen. Das Letzte, was sie gehört hatten, bevor die Derwische die Telegrafenleitung in den Norden gekappt hatten, war, dass der Entsatz immer noch im Nildelta zusammengezogen wurde und dass noch etliche Wochen vergehen würden, bevor man den Marsch nach Süden antreten konnte. Und dann waren es immer noch 1000 Meilen nach Khartum. Sie müssten die Katarakte überwinden und die »Mutter der Steine« durchqueren, eine furchtbare Wildnis. Und dann würden sie sich durch die Derwischhorden schlagen müssen, die die Ufer des Nils kontrollierten, bevor sie die Stadt erreichen und die Belagerung brechen konnten. Fünfzehnhundert Sack Durra waren bei weitem nicht genug, die Einwohner Khartums auf unabsehbare Zeit zu ernähren. Doch dann erinnerte er sich, dass dieser Optimismus Gordons beste Rüstung war. Ein Mann wie er würde sich niemals erlauben, einer hoffnungslosen Situation ins Auge zu sehen und sich der Verzweiflung hinzugeben.

    Ryder verkniff sich also seinen Kommentar und nickte nur. »Habe ich Ihre Erlaubnis, mit dem Verkauf des Korns zu beginnen, General?« Die Stadt stand unter Kriegsrecht. Lebensmittel durften nur mit persönlicher Genehmigung des Generals verteilt werden.

    »Nein, Sir, das kann ich nicht erlauben. Die Bevölkerung meiner Stadt ist am Verhungern.« Ryder entging nicht, dass Gordon von der Stadt sprach, als wäre sie sein Eigentum. »Wenn Sie Ihre Fracht frei verkauften, würde sie nur von reichen Kaufleuten gehortet und die Armen würden leer ausgehen. Nein, jeder wird die gleiche Ration erhalten, dafür werde ich sorgen. Ich habe also keine andere Wahl, als Ihre gesamte Kornladung zu requirieren. Natürlich werde ich Ihnen einen fairen Preis dafür bezahlen.«

    Für einen Augenblick konnte Ryder ihn nur anstarren, vollkommen sprachlos, bevor er schließlich sagte: »Ein fairer Preis, General?«

    »Am Ende der letzten Ernte kostete die Durra auf den Märkten dieser Stadt sechs Schilling pro Sack. Das war ein fairer Preis, und das ist es immer noch, Sir.«

    »Am Ende der letzten Ernte herrschte kein Krieg und die Stadt stand nicht unter Belagerung«, erwiderte Ryder. »Sechs Schilling spiegelt nicht den Wucherpreis wider, den ich für die Ware zu bezahlen hatte. Es entschädigt mich außerdem nicht für die Schwierigkeiten, die ich auf dem Transport zu überwinden hatte, und es erlaubt mir nicht den ehrlichen Gewinn, der mir zusteht.«

    »Ich bin sicher, sechs Schilling bedeutet einen hübschen Profit für Sie, Mr. Courtney«, sagte Gordon mit stählernem Blick. »Diese Stadt steht unter Kriegsrecht, Sir. Wuchergeschäfte und Hamsterei sind Kapitalverbrechen.«

    Ryder wusste, dass dies keine leere Drohung war, dafür hatte er zu oft gesehen, wie Männer ausgepeitscht oder standrechtlich erschossen wurden, weil sie ihre Pflicht verletzt oder sich gegen den kleinen Mann aufgelehnt hatten, der hier vor ihm stand. Gordon knöpfte seine Brusttasche auf und zog sein Notizbuch heraus. Er kritzelte schnell etwas auf ein Blatt, riss es heraus und gab es Ryder. »Das ist ein persönlicher Schuldschein von mir, über die Summe von 450 ägyptischen Pfund, zahlbar aus der Kasse des Khediven in Kairo.« Der Khedive war der offizielle Herrscher über Ägypten. »Was haben Sie sonst noch geladen, Mr. Courtney?«

    »Elfenbein und wilde Vögel und Tiere«, antwortete Ryder tonlos.

    »Die können Sie in Ihr Lager bringen. Im Augenblick habe ich keine Verwendung dafür, aber das kann sich ändern. Es könnte notwendig werden, die Tiere zu schlachten, als Fleisch für die Bevölkerung. Wie lange werden Sie brauchen, Ihren Dampfer und die Kähne wieder auslaufbereit zu machen, Sir?«

    »Auslaufbereit, General?« Ryder erbleichte unter seiner gebräunten Haut. Er hatte geahnt, dass das kommen würde.

    »Ich befehle Ihnen, auf Ihren Schiffen Flüchtlinge flussabwärts zu bringen«, erklärte Gordon. »Sie können so viel Brennholz für Ihre Kessel beschlagnahmen, wie Sie brauchen. Ich zahle Ihnen für diese Fahrt zwei Pfund pro Passagier. Ich schätze, Sie werden 500 Frauen, Kinder und Familienoberhäupter an Bord haben. Ich werde persönlich entscheiden, wer einen Platz verdient und wer Vorrang hat.«

    »Geben Sie mir dafür noch einen Ihrer Schuldscheine, General?«, fragte Ryder mit unterschwelligem Hohn.

    »Sicher, Mr. Courtney. Sie werden vor Matammah auf die Entsatzstreitkräfte warten. Meine Dampfer sind schon da. Ihre berühmten Künste als Flusskapitän werden uns sehr zugute kommen, besonders auf der Fahrt durch die Shabluka-Schlucht, Mr. Courtney.«

    China Gordon hatte nichts als Verachtung für Habgier und Mammon. Der Khedive von Ägypten hatte ihm 10000 Pfund für den äußerst gefährlichen Auftrag geboten, den Sudan zu evakuieren, doch Gordon wollte nur 2000 annehmen. Er hatte seine eigene Vorstellung darüber, was er seinen Mitmenschen und seinem Gott schuldig war. »Holen Sie Ihre Kähne längs an die Landebrücke. Meine Männer werden sie bewachen, während die Ladung gelöscht und die Durra ins Zolllager gebracht wird. Major al-Faroque wird für diese Operation das Kommando führen.« Gordon nickte dem ägyptischen Offizier zu, der Ryder daraufhin mit einem lässigen Gruß beehrte. Al-Faroque hatte seelenvolle dunkle Augen und roch stark nach Haarpomade. »Und jetzt müssen Sie mich bitte entschuldigen, Sir, ich bin sehr beschäftigt.«

    *

    Als offizielle Hausherrin des Generalkonsulats Ihrer Britannischen Majestät im Sudan war Rebecca für die Führung des Palasthaushalts verantwortlich. An diesem Abend hatten die Diener unter ihrer Aufsicht den Tisch auf der Terrasse gedeckt, die den Blauen Nil überblickte, damit Davids Gäste die Flussbrise genießen konnten. Zum Sonnenuntergang würden die Diener Kohlenpfannen mit Eukalyptuszweigen und -blättern anzünden. Der Rauch würde die Moskitos vertreiben. Zur Unterhaltung würde General Gordons Militärkapelle aufspielen, und es würde ein Feuerwerk geben, um die Bevölkerung Khartums für eine Weile auf andere Gedanken zu bringen in den Unbilden und Nöten der Belagerung.

    Rebecca hatte eine glänzende Tafel geplant. Das Silber und die Gläser des Konsuls waren poliert worden, bis sie in der Sonne funkelten, und die Tischdecken waren so lange gebleicht worden, bis sie weiß waren wie Engelsflügel. Das Menü war leider nicht von entsprechender Qualität. Zum Auftakt war eine Suppe aus Unkraut und Hagebutten aus dem verwilderten Palastgarten vorgesehen. Danach gäbe es eine Pastete aus gekochtem Palmenmark und Durra, und als Hauptgang schließlich Pelikanbrust.

    An den meisten Abenden bezog David seinen Posten auf dieser Terrasse über dem Fluss, mit einer seiner Purdey-Flinten zur Hand, und wartete auf die Schwärme von Wasservögeln, die über den Palast hinweg zu ihren Schlafplätzen flogen. Die Zwillinge hockten gewöhnlich hinter ihm, die anderen beiden Purdeys im Arm. Ein solches Trio von Gewehren bezeichnete man als »Garnitur«. Nach Davids Überzeugung sollte sich jede Frau, die in Afrika lebte, im Gebrauch von Schusswaffen auskennen. Rebecca hatte er schon zu einer ausgezeichneten Pistolenschützin herangebildet. Gewöhnlich gelang es ihr, mit sechs Schüssen aus dem schweren Webley-Revolver mindestens fünf leere Rindfleischbüchsen von der Mauer am Ende der Terrasse zu schießen, und das aus zehn Schritt Entfernung, sodass die Dosen in hohem Bogen auf den Nil hinausflogen.

    Die Zwillinge waren noch zu klein, dem Rückschlag eines Revolvers oder einer Purdey standzuhalten, weshalb er sie mit den Ersatzflinten hatte üben lassen, bis sie so flink und geschickt waren wie die besten Jagdknechte auf den Hochmooren von Yorkshire.

    Sobald ihr Vater beide Läufe abgeschossen hatte, nahm ihm Amber die leere Flinte aus der Hand, und Saffron reichte ihm fast im selben Augenblick eine der anderen an. Während er dann sein Ziel suchte und wieder feuerte, luden die Mädchen die leere Waffe nach und hielten sich bereit, sie ihm anzureichen, sobald er seinen Arm danach ausstreckte. So brachten es die drei auf eine beachtliche Feuerrate.

    David war ein gefeierter Scharfschütze und verschwendete kaum eine Patrone. Angefeuert von seinen Töchtern konnte er kurz nacheinander fünf oder sechs Vögel aus einem Schwarm vom Himmel holen, der hoch über ihnen dahinhuschte. In den ersten Wochen der Belagerung waren viele Wildvögel – Krickenten, Löffelenten und exotischere Arten, zum Beispiel ägyptische Gänse und Knäkenten – noch eher in Schussweite der Terrasse gekommen und hatten damit öfter Eingang in die karge Speisekammer des Palastes gefunden. Das überlebende Entenvolk hatte jedoch schnell gelernt und machte inzwischen einen großen Bogen um diese Terrasse. Nun brachten Davids Schießkünste nur noch die dümmeren und weniger schmackhaften Vögel auf den Tisch, und seine jüngsten Opfer waren ein paar plumpe Pelikane gewesen.

    Als Beilage wollte Rebecca gekochte Blätter und Stängel der geheiligten ägyptischen Wasserlilie servieren. Ryder Courtney hatte ihr diese Pflanze empfohlen und auch gleich den botanischen Namen genannt, Nymphaea alba. Was die Natur anging, verfügte Ryder über einen schier unerschöpflichen Wissensschatz. Aus den wundervollen blauen Blüten ließ Rebecca einen Salat zubereiten, um den durchdringenden Fischgeschmack der Pelikanbrust mit einer pfefferigen Note zu überdecken. Diese Pflanzen wuchsen in dem engen Kanal, der die Stadt vom Festland trennte. Um diese Jahreszeit war das Wasser dort hüfttief, in anderen Zeiten konnte der Kanal jedoch vollkommen austrocknen. General Gordon hatte Truppen dafür abgestellt, die Rinne tiefer und breiter zu machen, als Befestigungsgraben gegen die Belagerer, was Rebecca gar nicht gefiel, denn damit zerstörten sie auch die Quelle dieses nahrhaften Leckerbissens.

    Der Weinkeller des Konsulats war leer bis auf einen einzigen Karton Krug Champagner, den David für die Ankunft der Entsatztruppen aus dem Norden reserviert hielt. Ryder Courtney hatte Bachit und seinen Männern, die er zum Konsulat geschickt hatte, um die Einladung zum Abendessen anzunehmen, jedoch drei Kalebassen Tej mitgegeben, das starke Honigbier, das in der Region gebraut wurde und das wie billiger Apfelwein schmeckte. Das würde Rebecca in Kristallkaraffen servieren und dem Gesöff damit eine Feierlichkeit verleihen, die es eigentlich nicht verdiente.

    Im Augenblick legte sie letzte Hand an den Blumenschmuck für die Tafel: Oleander aus den verwilderten Gärten. In einer Stunde würden die ersten Gäste eintreffen, und ihr Vater war immer noch nicht von seiner täglichen Besprechung mit General Gordon zurück. Sie machte sich ein wenig Sorgen, David könnte sich verspäten und ihr den Abend verderben. Andererseits war sie im Stillen erleichtert, dass General Gordon ihre Einladung ausgeschlagen hatte. Er war ein großer Mann, ein Heiliger, ein Held des Empire, doch gesellschaftliche Umgangsformen pflegte er willentlich zu missachten. Im Gespräch wirkte er frömmlerisch und obskur, und sein Sinn für Humor – falls man überhaupt davon sprechen konnte – war, gelinde gesagt, etwas unterentwickelt.

    Endlich hörte sie die vertrauten Schritte ihres Vaters durch die Korridore hallen, und dann seine Stimme, als er einen der Diener zu sich rief. Sie eilte ihm entgegen und begrüßte ihn, sobald er die Terrasse betrat. Seine Umarmung war jedoch kalt, er wirkte verstört. Sie trat einen Schritt zurück und schaute ihm ins Gesicht. »Was hast du, Vater? Was ist passiert?«

    »Wir werden morgen Abend die Stadt verlassen. General Gordon hat die sofortige Evakuierung aller britischen, französischen und österreichischen Staatsbürger angeordnet.«

    »Heißt das, du kommst mit uns, Daddy?« Es kam nur noch selten vor, dass man diese kindliche Anrede von ihr hörte.

    »Das heißt es allerdings.«

    »Wie werden wir reisen?«

    »Gordon hat Ryder Courtneys Dampfer und Schleppkähne requiriert. Er hat ihm befohlen, uns alle flussabwärts zu bringen. Ich habe versucht, ihn umzustimmen, aber es hatte alles keinen Zweck. Der Mann ist vollkommen unzugänglich. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, kann ihn niemand mehr davon abbringen.« David grinste plötzlich, fasste sie um die Taille und begann, einen Walzer mit ihr zu tanzen. »Um die Wahrheit zu sagen, bin ich ganz froh, dass er mir die Entscheidung abgenommen hat und dass du und die Zwillinge in Sicherheit gebracht werden.«

    Eine Stunde später standen David und Rebecca unter dem Kronleuchter im Empfangssaal und begrüßten ihre Gäste, bei denen es sich fast ausschließlich um Männer handelte. Die meisten weißen Frauen waren Monate zuvor zum Nildelta evakuiert worden, auf General Gordons schäbigen Dampfern, die nun vor Matammah lagen und auf die Ankunft der Entsatztruppen warteten. Rebecca und die Zwillinge gehörten zu den wenigen Europäerinnen, die in der Stadt geblieben waren.

    Die Zwillinge standen hinter ihrem Vater, wie es sich für wohlerzogene Mädchen gehörte. Sie hatten ihre große Schwester dazu bewegt, sie dabei sein zu lassen, wenn Ryder Courtney kam, und mit ihm das Feuerwerk anzuschauen, bevor Nasira, ihr Kindermädchen, sie auf ihre Zimmer bringen würde. Nasira, die sich früher auch um Rebecca gekümmert hatte, ein geliebtes und geschätztes Mitglied des Benbrook-Haushalts, stand dicht hinter den Zwillingen und würde sie bei den Händen nehmen, sobald es neun Uhr schlug. Zur großen Enttäuschung der Kinder traf Ryder Courtney als Letzter ein, und als er schließlich erschien, steckten die beiden kichernd und flüsternd die Köpfe zusammen.

    »Er ist traumhaft!«, hauchte Saffron, als würde sie im nächsten Augenblick in Ohnmacht fallen.

    Nasira kniff sie in den Arm und flüsterte auf Arabisch: »Selbst wenn vielleicht nie eine Dame aus dir wird, musst du wenigstens lernen, dich wie eine zu benehmen, Saffy!«

    »Das ist das erste Mal, dass ich ihn in vollem Ornat sehe«, pflichtete Amber ihrer Zwillingsschwester bei. Ryder trug ein Dinnerjackett, wie es der Prince of Wales kürzlich in Mode gebracht hatte, tailliert und mit Satin-Aufschlägen. Er hatte es nach einem Bild in den London Illustrated News von einem amerikanischen Schneider in Kairo anfertigen lassen und trug es mit einer lässigen Eleganz, die Welten entfernt schien von der zerknitterten Moleskin-Kleidung, in der man ihn gewöhnlich sah. Er war frisch rasiert, und sein Haar schimmerte im Kerzenschein.

    »Schau, er hat uns etwas mitgebracht!« Amber war die verräterische Schwellung unter seiner Jackenbrust aufgefallen. Sie hatte einen Blick für solche Details.

    Ryder begrüßte David mit Handschlag und verbeugte sich vor Rebecca. Dann zwinkerte er den Zwillingen zu, die mit der Hand vor dem Mund, um ihr Gekicher zu ersticken, ihren Knicks vor ihm machten.

    »Gebt ihr zwei schönen Damen mir wohl die Ehre, mich auf die Terrasse zu begleiten?« Er verbeugte sich vor ihnen.

    »Oui, oui, Monsieur«, antwortete Saffron pompös. Amber konnte sich kaum noch halten.

    Ryder beugte sich ein wenig zu ihnen hinunter, nahm sie beim Arm, eine auf jeder Seite, und führte sie durch die hohen Glastüren auf die Terrasse. Einer der Diener in weißem Gewand und blauem Turban brachte ihnen Limonade aus den wenigen Früchten, die die Bäume im Obstgarten noch trugen, und dann über reichte Ryder den Zwillingen endlich ihre Geschenke: je eine Halskette aus winzigen, aus Elfenbein geschnitzten Löwen-, Affen- und Giraffenfiguren. Er befestigte den Verschluss im Nacken der Mädchen, und die beiden waren selig.

    Wie auf ein Zeichen begann im selben Augenblick die Militärkapelle auf dem Platz neben dem alten Sklavenmarkt zu spielen. Die Entfernung dämpfte die Klänge auf eine angenehme Lautstärke, und den Musikern gelang es, das gewohnte Repertoire der britischen Armee – Polkas, Walzer, Marschmusik – mit betörenden orientalischen Kadenzen zu veredeln.

    »Oh Ryder, sing doch für uns, bitte sing für uns!«, bettelte Amber, und als er lachend den Kopf schüttelte, wandte sie sich an ihren Vater. »Bitte sag ihm, er soll singen, Daddy!«

    »Meine Tochter hat recht, Mr. Courtney, Ihre Stimme würde den Abend unendlich viel schöner machen.«

    Ryder sang ›Over the Sea to Skye‹, ohne jede Befangenheit, und bald ließen sich alle von der Musik mitreißen, tappten mit den Füßen oder klatschten in die Hände, und wer seine eigene Stimme für gut genug hielt, fiel in den Refrain ein.

    Und dann begann das Feuerwerk, General Gordons allabendliches Geschenk an die Bevölkerung. Der Himmel erstrahlte in blauen, grünen und roten Funkenregen, die sich aus den Signalraketen ergossen, und die Zuschauer begleiteten das Schauspiel mit bewundernden Ohs and Ahs. Und wie gewohnt feuerte irgendein Beduine vom anderen Ufer ein paar Schrapnellgranaten, doch seine Peilung war so hoffnungslos, dass der Beschuss niemanden erschreckte, sondern nur launige Buhrufe hervorrief.

    Danach wurden die Zwillinge unter vergeblichen Protesten in die Kinderzimmer gebracht, und einer der arabischen Lakaien klopfte eine Handtrommel, um die Gesellschaft zu Tisch zu bitten. An Appetit mangelte es niemandem. Wer noch nicht hungerte, war nahe daran. Die Portionen waren winzig, kaum einen Mund voll für jeden, doch der österreichische Konsul, Herr Schiffer, fand die Unkrautsuppe »köstlich«, die Palmenmarkpastete »sehr nahrhaft« und die geröstete Pelikanbrust »ganz außergewöhnlich«, was Rebecca als Kompliment auffasste.

    Gegen Ende des Essens bekräftigte Ryder Courtney noch einmal seine Rolle als Held des Abends. Er klatschte Bachit herbei, und der Bootsmann kam auf die Terrasse, grinsend wie ein Honigkuchenpferd. Auf einem silbernen Tablett brachte er eine Kristallflasche VSOP Hine Cognac und eine Zedernholzschachtel mit kubanischen Zigarren. Die gefüllten Gläser auf dem Tisch und die glimmenden Zigarren hoben sofort die Laune, und die Unterhaltung war äußerst locker und angenehm, bis Monsieur le Blanc den Mund aufmachte.

    »Ich frage mich, wie China Gordon eine Einladung zu einem so wunderbaren Abend ausschlagen konnte.« Er kicherte auf weIbische, irritierende Art. »Er wird doch nicht glauben, er müsste das mächtige britische Empire 24 Stunden am Tag vor dem Untergang bewahren. Selbst Herkules brauchte bisweilen eine Ruhepause von seinen Heldentaten.« Le Blanc leitete die belgische Gesandtschaft, die König Leopold geschickt hatte, um diplomatische Kontakte mit dem Mahdi aufzunehmen. Bislang waren diese Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt, und so saß er nun wie die anderen in Khartum gefangen. Die Engländer am Tisch bedachten ihn mit mitleidigen Blicken. Da er ein Ausländer war, der es nicht besser wusste, vergaben sie ihm seinen Schnitzer.

    »Der General lehnt es lediglich ab, an einem Bankett teilzunehmen, während die Bevölkerung hungert«, ergriff Rebecca schließlich das Wort. »Ich finde, das ist sehr nobel von ihm«, erklärte sie lächelnd, bevor sie eilends hinzufügte: »Nicht, dass ich diese bescheidene Tafel als ein großes Bankett bezeichnen würde.«

    David folgte ihrem Beispiel und begann eine Lobrede auf den unbeugsamen Charakter und die bewundernswerten Leistungen des Generals.

    Ryder Courtney litt immer noch unter der jüngsten Demonstration dieses eisernen Charakters und beteiligte sich nicht an den allgemeinen Lobpreisungen.

    »Er hat eine fast messianische Gewalt über seine Leute«, sagte David ernst. »Sie würden ihm überallhin folgen, und wenn sie sich sträuben, zerrt er sie an den Zöpfen an die Front, wie er es mit seiner Ever Victorious Army in China praktiziert hat, oder er tritt ihnen so lange in den Hintern, bis sie grün und blau sind, wie er es mit dem ägyptischen Gesindel tut, mit dem er diese Stadt nun zu verteidigen hat.«

    »Bitte, Vater!«, erinnerte ihn Rebecca, den guten Ton zu wahren.

    »Entschuldige, meine Liebe, aber so ist es. Er ist vollkommen furchtlos. Erinnern Sie sich nur, wie er ganz allein in voller Galauniform in das Lager dieses mörderischen Schurken Suleiman geritten ist und ihm und seiner Rebellenarmee die Meinung gegeigt hat. Und Suleiman hat ihn nicht etwa auf der Stelle ermorden lassen, sondern hat seinen Aufstand aufgegeben und ist nach Hause geritten.«

    »Dasselbe ist ihm mit den Zulus in Südafrika gelungen. Er schritt einfach durch die Reihen der kriegerischen Impis, und die verehrten ihn dann als Gott, was ihm das Recht gab, ihren Induna als Gotteslästerer auspeitschen zu lassen.«

    »Könige und Potentaten in aller Welt standen Schlange, sich seiner Dienste zu versichern«, meldete sich ein anderer zu Wort, »der Kaiser von China, König Leopold von Belgien, der Khedive von Ägypten und der Premier der Kapkolonie.«

    »Aber er ist nicht nur ein großer Krieger, sondern zuallererst ein Mann Gottes. Er verschmäht alles Gerede und sucht vor jeder schicksalhaften Schlacht die Ruhe des Gebets, um zu erfahren, was Gott von ihm erwartet.«

    Ich frage mich, ob Gott auch von ihm erwartet, dass er mein Getreide stiehlt, dachte Ryder voller Bitterkeit. Er sprach es nicht aus, sondern lenkte das Gespräch in eine etwas andere Richtung. »Ist es nicht beachtlich, dass der Mann, der ihm nun auf der anderen Seite des Nils gegenübersteht, einiges gemeinsam hat mit unserem guten General, was den Charakter angeht?« Mit dieser Bemerkung stieß er auf eisiges Schweigen, schlimmer noch als nach Le Blancs ursprünglichem Fauxpas. Wie konnte sich ein Mann von Ryder Courtneys Kaliber zu solchem Frevel versteigen?

    Selbst Rebecca empörte der Gedanke, man könne zwischen dem Heiligen und der Bestie irgendeinen Vergleich ziehen. Es entging ihr jedoch auch nicht, dass andere aufhorchten, wenn Ryder sprach. Obwohl er der jüngste Mann am Tisch war, respektierte man ihn für seinen Erfolg und Reichtum. Er genoss einen ausgezeichneten Ruf als jemand, der unermüdlich in Gegenden reiste, wohin sich nur wenige vor ihm gewagt hatten. Er war zu den Mondbergen vorgedrungen und über die großen Seen Innerafrikas gesegelt. Er war ein Freund und Vertrauter des Kaisers Johannes von Abessinien. Er stand auf vertrautem Fuß mit den Mutesa von Buganda und den Kamrasi von Unjoro, die ihm exklusive Handelsrechte in ihren Königreichen eingeräumt hatten.

    Sein Arabisch war so ausgezeichnet, dass er mit den Mullahs der Moscheen den Koran diskutieren konnte. Er sprach auch ein Dutzend primitivere Sprachen, sodass er mit den nackten Dinka und Schilluk Handel treiben konnte. Er hatte jede bekannte Art wilder Tiere und Vögel in Äquatoria gejagt und sie an die Menagerien von Kaisern und Königen und an zoologische Gärten überall in Europa verkauft.

    »Welch außergewöhnlicher Gedanke, Ryder«, bemerkte David vorsichtig. »Meiner Ansicht nach stellen der verrückte Mahdi und General Charles Gordon eher entgegengesetzte Pole dar. Vielleicht können Sie einige der Charakterzüge nennen, die sie gemeinsam haben sollen?«

    »Ja, David. Erstens sind sie beide Asketen, Männer, die Entsagung praktizieren und sich jeder weltlichen Annehmlichkeit enthalten. Und beide sind Männer Gottes.«

    »Sie dienen aber nicht demselben Gott«, wandte David ein.

    »Doch, David, es ist derselbe Gott. Der Gott der Juden, der Moslems, der Christen und aller anderen monotheistischen Religionen ist ein und derselbe, sie huldigen ihm nur auf unterschiedliche Weise.«

    »Vielleicht können wir diese Diskussion später fortsetzen«, lächelte David, »aber erhellen Sie uns doch, was die beiden sonst noch gemeinsam haben.«

    »Sie glauben beide, dass Gott direkt zu ihnen spricht und sie deshalb unfehlbar sind. Sobald sie sich einmal zu etwas entschlossen haben, sind sie nicht mehr davon abzubringen und keinem Argument mehr zugänglich. Und dann sind beide, wie es bei so vielen großen Männern und schönen Frauen der Fall ist, für den Personenkult anfällig. Sie glauben, alles erreichen zu können, indem sie einfach ihre blauen Augen blitzen lassen oder ihre Zahnlücke zeigen und durch ihre Redegewalt«, erklärte Ryder weiter.

    »Wir wissen, wem die blauen Augen und der durchdringende Blick gehören«, lachte David, »aber wer hat diese Zahnlücke?«

    »Mohammed Ahmed, der Mahdi, der von Gott Geleitete«, war Ryders Antwort. »Die keilförmige Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen, die Falja, wird von seinen Ansar als Zeichen seiner göttlichen Mission angesehen.«

    »Sie reden, als kennten sie den Mann«, sagte Le Blanc. »Haben Sie ihn etwa getroffen?«

    »Das habe ich«, bestätigte Ryder, worauf man ihn anstarrte, als hätte er soeben zugegeben, sich mit dem Satan an einen Tisch gesetzt zu haben.

    Rebecca war die Erste, die ihre Sprache wiederfand. »Erzählen Sie, wo und wann war das? Wie ist er in Wirklichkeit?«

    »Als ich ihn kennenlernte, lebte er noch auf der Insel Abbas, vierzig Meilen den Blauen Nil hinauf. Des Öfteren, wenn ich an der Insel vorbeikam, ging ich an Land und unterhielt mich mit ihm über Gott und die Welt. Ich würde nicht sagen, wir wären Freunde gewesen – es läge mir gewiss fern, je seine Freundschaft zu suchen –, aber er war dennoch faszinierend. Ich spürte, er war anders, und seine Frömmigkeit, seine stille Kraft und sein unerschütterliches Lächeln haben mich stets beeindruckt. Er ist ein wahrer Patriot, genau wie General Gordon — noch eine Eigenschaft, die sie gemeinsam haben.«

    »Genug von General Gordon. Dessen Qualitäten kennen wir«, unterbrach ihn Rebecca. »Erzählen Sie uns lieber von diesem grässlichen Mahdi. Wie können Sie behaupten, er könnte auch nur ein Körnchen dieser Tugenden in sich tragen?«

    »Wie wir alle wissen, war die Herrschaft des Khedive über den Sudan ungerecht und brutal. Hinter der großartigen Fassade blühten unsägliche Korruption und Grausamkeit. Die Bevölkerung war habgierigen und herzlosen Paschas unterworfen und einer Besatzungsstreitmacht von 40000 Soldaten, die die Wuchersteuern einzogen, die die Paschas den Eingeborenen auferlegten. Und nur die Hälfte dieser Steuern gelangte je nach Kairo. Der Rest wanderte in die Taschen der Paschas. Bajonett und Kurbash regierten das Land, und die grausame Nilpferdpeitsche. Die dekadenten Paschas hier in Khartum vergnügten sich damit, sich die grausamsten Foltern und Hinrichtungen auszudenken. Ganze Dörfer wurden ausradiert, die Einwohner abgeschlachtet. Araber und Schwarze kauerten gleichermaßen im Schatten der verhassten ›Türken‹, doch niemand wagte, sich zu beschweren.

    Die Ägypter nennen sich zivilisiert, dabei begünstigten und förderten sie den Sklavenhandel, denn so kamen sie an ihre Steuern. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, welches Grauen dieser Handel bedeutet, und war verblüfft, wie duldsam die Bevölkerung war. All dies diskutierte ich mit dem Einsiedler in seiner Höhle am Flussufer. Er war ein paar Jahre älter als ich, aber wir waren beide noch junge Männer. Zusammen versuchten wir eine Erklärung dafür zu finden, wie diese Situation sich so lange halten konnte, zumal der Araber eigentlich ein stolzer Mensch ist. So kamen wir zu dem Schluss, dass es an zwei entscheidenden Faktoren für eine Revolution fehlte. Zum einen fehlte es an der Erfahrung eines besseren Lebens. Die lieferte General Gordon dann als Gouverneur des Sudan. Das andere fehlende Element war eine vereinigende Kraft unter den Unterdrückten, und die sollte dann Mohammed Ahmet beisteuern. So erblickte schließlich die neue Nation der Mahdisten das Licht der Welt.«

    Es herrschte Schweigen am Tisch, bis Rebecca wieder das Wort ergriff. »Aber wie ist er wirklich, Mr. Courtney? Wie sieht er aus, wie benimmt er sich? Wie klingt seine Stimme? Und erzählen Sie uns mehr über diese eigenartige Zahnlücke.«

    »Er verfügt über eine ähnliche Ausstrahlung wie Charles Gordon, eine weitere Gemeinsamkeit. Er ist mittelgroß und schlank. Er kleidet sich stets in makellos weiße Gewänder, selbst damals, als er noch in einem Erdloch hauste. Auf seiner rechten Wange ist ein Muttermal von der Form eines Vogels oder Engels. Auch das betrachten seine Anhänger und Jünger als ein Zeichen Gottes. Die Lücke zwischen seinen Schneidezähnen fesselt die Zuhörer, wenn er spricht, und er ist ein wahrhaft überwältigender Redner. Seine Stimme ist gewöhnlich sanft und zart. Nur wenn sein Zorn entfacht ist, spricht er mit dem Donner eines biblischen Propheten, doch selbst dann hat er immer noch dieses Lächeln im Gesicht.« Ryder zückte seine goldene Taschenuhr. »Es ist eine Stunde vor Mitternacht. Ich habe Sie lange genug aufgehalten. Wir sollten uns jetzt alle zur Ruhe begeben, denn wie Sie wissen, hat mir General Gordon die Pflicht auferlegt, dafür zu sorgen, dass niemand von ihnen, die Sie heute Abend hier versammelt sind, je die Stimme des Mohammed Ahmed zu hören bekommen wird. Vergessen Sie bitte nicht, sich morgen vor Mitternacht auf meinem Dampfer am Altstadtkai einzufinden. Ich will ablegen, wenn es noch zu dunkel ist, als dass die Derwische uns vernünftig ins Visier nehmen könnten. Und nehmen Sie nur das Nötigste mit. Mit etwas Glück werden wir außer Reichweite sein, bevor ihre Kanonen einen einzigen Schuss abfeuern können.«

    David lächelte. »Das wäre gewiss mehr als nur etwas Glück, Mr. Courtney. Die Stadt wimmelt von Derwisch-Spionen. Der Mahdi weiß gewöhnlich genau, was wir vorhaben, fast bevor wir selbst es wissen.«

    »Vielleicht gelingt es uns diesmal, ihn auszutricksen.« Ryder stand halb von seinem Stuhl auf und verbeugte sich vor Rebecca. »Verzeihen Sie, wenn ich Ihre Gastfreundschaft zu lange beansprucht habe, Miss Benbrook.«

    »Nein, nein, es ist noch viel zu früh, als dass Sie uns verlassen könnten. Niemand hier wird jetzt schlafen können. Bitte setzen Sie sich wieder, Mr. Courtney. Sie haben uns so auf die Folter gespannt, dass Sie uns auch den Rest der Geschichte erzählen müssen.«

    Ryder hob schicksalsergeben die Hände und ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. »Wie könnte ich mich Ihrem Wunsch widersetzen? Doch ich fürchte, Sie alle kennen den Rest dieser Geschichte, denn das ist oft erzählt worden, und ich möchte Sie nicht langweilen.«

    »Erzählen Sie weiter, Mr. Courtney«, rief jemand am Tisch unter dem allgemeinem Protestgemurmel, das sich erhoben hatte. »Wir wollen Ihre Version der Geschichte hören, die ja ganz anders zu sein scheint als das, was man gewöhnlich hört.«

    Ryder Courtney nickte und fuhr fort: »Wir im Westen sind zu Recht stolz auf unsere ruhmreichen Traditionen und hohen Moralmaßstäbe, doch unter wilden Völkern, wo es keine Erziehung gibt, stellt gerade diese Unwissenheit einen Quell der Stärke dar. Sie bildet den Nährboden für einen überwältigenden Fanatismus. Hier im Sudan gab es drei wichtige Stufen auf dem Weg zum Aufstand. Die erste war das Elend unter den eingeborenen Völkern dieses Landes. Die zweite war die Erkenntnis, dass der verhasste Türke der Ursprung allen Übels war, die Günstlinge des Khediven in Kairo. Und dann bedurfte es nur noch eines Schrittes, bevor die mächtige Welle des Fanatismus über das Land hereinbrechen konnte. Das konnte geschehen, als ein Mann auf die Bühne trat, der zum Mahdi aufsteigen würde.«

    »Natürlich!«, warf David ein. »Der Samen dafür war schon vor langer Zeit gesät worden. Die Shukri glauben seit Ewigkeiten, eines Tages, in einer Zeit der Schande und Not, würde Allah einen zweiten großen Propheten senden, der die Gläubigen wieder zu Gott führen und den Islam retten wird.«

    Rebecca bedachte ihren Vater mit einem strengen Blick. »Es ist Mr. Courtneys Geschichte, Vater. Bitte lass ihn erzählen.«

    Die Männer lächelten über die leidenschaftliche Ermahnung, und David entschuldigte sich. »Es war nicht meine Absicht, Ihre Geschichte an mich zu reißen. Bitte reden Sie weiter, Sir.«

    »Sie sagen es aber ganz richtig, David. Die Menschen im Sudan hofften seit hundert Jahren auf das Erscheinen eines Asketen, der sich an ihre Spitze stellen würde, und als sich Mohammed Ahmeds Ruhm verbreitete, strömten immer mehr Pilger zur Insel Abbas. Sie brachten ihm wertvolle Geschenke, die Mohammed dann an die Armen verteilte. Sie lauschten seinen Predigten und nahmen die Schriften des heiligen Mannes mit nach Hause. So verbreitete sich sein Ruhm im ganzen Sudan, bis er jemandem zu Ohren kam, der sein ganzes Leben lang auf die Ankunft des zweiten Propheten gewartet hatte. Abdullahi, der Sohn eines obskuren Geistlichen, der jüngste von vier Brüdern, begab sich in inbrünstiger Hoffnung zu Mohammed Ahmeds Insel. Als er schließlich dort ankam und von seinem wund gerittenen Esel stieg, erkannte er den frommen jungen Einsiedler sofort als den wahren Gottgesandten.«

    David konnte sich nicht mehr zurückhalten. »Oder erkannte er in ihm nur das Vehikel für seine Gier nach unerhörter Macht und traumhaftem Reichtum?«

    »Das beschreibt ihn vielleicht noch besser«, lachte Ryder zustimmend, »aber, wie auch immer, die beiden bildeten eine mächtige Allianz. Bald hörte Raouf Pascha, der ägyptische Gouverneur von Khartum, dass dieser verrückte Priester die Auflehnung gegen den Khediven predigte, und ließ Mohammed Ahmed nach Khartum beordern, um sich hier selbst zu rechtfertigen. Der Priester hörte den Boten an, den der Gouverneur geschickt hatte. Dann stand er auf und sprach mit der Stimme eines wahren Propheten: ›Bei der Gnade Gottes und seines Propheten, ich bin der Herr in diesem Land. In Gottes Namen erkläre ich dem Türken den Dschihad, den Heiligen Krieg.‹

    Der Bote eilte zu seinem Herrn zurück, und Abdullahi versammelte eine Bande von Lumpengesindel um sich, die er mit Stöcken und Steinen bewaffnete. Raouf Pascha schickte zwei Kompanien seiner besten Soldaten auf einem Dampfer den Fluss hinauf, um den aufsässigen Priester gefangen zu nehmen. Er glaubte an Wettbewerb und versprach also demjenigen seiner beiden Hauptmänner, der den Priester verhaften würde, eine Beförderung. Bei Einbruch der Dunkelheit landete der Kapitän des Dampfschiffes mit seinen Soldaten vor der Insel, und die beiden Kompanien marschierten um die Wette auf getrennten Wegen, beide mit dem Ziel, das Dorf zu umzingeln, in dem der Priester sich aufhalten sollte. Am Ende fanden sich die Soldaten in der mondlosen Nacht jedoch in wildem Gefecht miteinander und flohen schließlich zu ihrem Landeplatz zurück. In seinem Schrecken weigerte sich der Dampferkapitän, noch einmal anzulegen, und forderte die Soldaten auf, zu seinem Schiff zu schwimmen, wenn sie mitgenommen werden wollten. Dieses Angebot wurde aber nur von wenigen akzeptiert, entweder weil die meisten nicht schwimmen konnten oder aus Angst vor den Krokodilen. So ließ der Kapitän die Mehrheit zurück und fuhr nach Khartum zurück, worauf Mohammed Ahmed und Abdullahi sich mit ihrer Lumpenarmee auf die demoralisierten Ägypter stürzen und sie abschlachten konnten.

    Die Neuigkeit von diesem außerordentlichen Sieg, dass Männer mit Stöcken den verhassten Türken überwältigt hatten, verbreitete sich im ganzen Land, und bei dem Führer dieser Helden musste es sich gewiss um den Mahdi handeln. Im Wissen, dass die Ägypter weitere Truppen schicken würden, um ihn zu töten, begab der nun selbsterklärte Mahdi sich auf eine Hidschra nach dem Vorbild des Exodus des Einen Wahren Propheten aus Mekka vor 1000 Jahren. Vor diesem Rückzug ernannte er den getreuen Abdullahi zu seinem Kalifen, seinen Stellvertreter vor Gott, wieder in Einklang mit Tradition und Prophezeiung. Aus dem Rückzug wurde also bald ein Triumphzug. Dem Mahdi eilten Geschichten von Zeichen und Wundern voraus. So verhüllte eines Nachts ein dunkler Schatten den Halbmond, das Symbol Ägyptens und der Türken. Diese

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