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Die funkelnde Welt
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Die funkelnde Welt

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Der Roman erzählt von Drood, einem Mann, der mit der wundersamen Gabe des Fliegens ausgestattet ist, ähnlich der Flucht in einem Traum, und von seiner Verfolgung durch die seelenlosen Reichen, die die Welt beherrschen. In einer bestimmten Stadt erschien die Ankündigung, dass der Zirkus die einzige Aufführung des "Double Star Man" geben würde, der ohne jegliche Geräte in der Luft fliegen würde. Der Zirkusdirektor sagte, der Künstler habe sich geweigert, Geld für seinen Auftritt anzunehmen. In der ganzen Stadt verbreiteten sich Gerüchte über die Identität des Gastdarstellers, und alle Karten für die Aufführung waren sofort ausverkauft, selbst zum dreifachen Preis. Der gesamte Adel der Stadt versammelte sich im Zirkus, darunter der Polizeiminister Daugovet und seine Nichte Runa Beguem.

Der Auftritt des Double Star Man – und er war kein anderer als Drood – sorgte für Aufsehen. Inmitten des allgemeinen Lärms und Aufruhrs gab Daugovet seinen beiden Agenten den Befehl, den Künstler sofort zu vernichten. Als Drood den Zirkus verließ, griffen ihn die Agenten an, aber er schoss in die Höhe. Einer der Angreifer, der sich an Drood festklammerte, stürzte beim Start aus großer Höhe und stürzte ab.

LanguageEnglish
Release dateMar 2, 2024
ISBN9798224886098
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    Die funkelnde Welt - Alexander Grin

    Alexander

    GRIN

    Die funkelnde Welt

    Phantastischer Roman

    Aus dem Russischen von

    Heinz Kübart

    Teil I

    Die umgekippte Manege

    »Es ist dort …«

    Swift

    1

    Sieben Tage lang gab ein Kunterbunt von Plakaten den Einwohnern der Stadt zu wissen, daß im Zirkus »Soleil« der »Doppelstern-Mensch« auftreten werde; und noch nie war in den fröhlichen Wohnzimmern und Salons, hinter den Kulissen des Theaters, in den Restaurants, Bierstuben und Küchen so viel über derlei Dinge geredet worden. In der Tat, noch nie hatte die Zirkuskunst so viel verheißen wie jetzt und solche Erregung in die Sphäre der Schaulust gelockt. Selbst der Athletenkampf - Lieblingszerstreuung der degenerierten Erben Neros und Heliogabals - war an die zweite Stelle gerückt, obwohl die animalischen Muskelprotze Greper und Noir, Neger aus dem afrikanischen Nigeria, bereits angereist waren und, dickste Regalias paffend, zur Verwunderung und zum Herzklopfen reifer, aber feuriger Damen auf den Boulevards promenierten, um sich angaffen zu lassen. Selbst der berühmte Kraftmensch und Jongleur Mireil, der ein Feuerwerk leuchtender Gewichte emporzuwirbeln pflegte, hatte seinen Glanz eingebüßt. Kurzum, der Zirkus »Soleil« verhieß wahrhaft nie Dagewesenes. Verweilen wir kurz vor einem Anschlagzettel, so werden wir umfassender als durch Beispiele und Vergleiche des Eindrucks teilhaftig, den er auf die Menge machte. Was besagen die Lettern?

    »Am Mittwoch, dem 23. Juni 1911«, so verkündete das Plakat, »findet die erste, einzige und letzte Darbietung des vordem nie und nirgends aufgetretenen Phänomens statt, das sich Doppelstern-Mensch nennt.

    Völlig schwerelos!

    Fliegendes Laufen!

    Wundersames Fliegen!

    Regelrechtes Schweben in der Luft, ohne Hilfe verborgener mechanischer Mittel oder sonstiger Vorrichtungen!

    Bis zu drei vollen Sekunden Aufenthalt in der Luft!

    Der Doppelstern-Mensch - das größte wissenschaftliche Rätsel unseres Jahrhunderts!

    Verkauf der Eintrittskarten in Anbetracht der Exklusivität und Unwiederholbarkeit der Darbietung vom 19. bis zum Tage der Vorstellung; verdreifachte Preise!«

    Agassiz, Direktor des »Soleil«, gab vor Journalisten folgende Erklärung ab: Ein paar Tage zuvor hatte ein Unbekannter ihn aufgesucht; selbst das scharfe Auge eines so Gewieften wie Agassiz hatte während der kurzen Zusammenkunft nichts entdeckt, was ihn genauer gekennzeichnet hätte. Auf der Visitenkarte des Besuchers stand E.D. - sonst nichts; keine Adresse, kein Beruf …

    Während Agassiz sprach, zeigte er die Miene eines Menschen, der mehr weiß, als denkbar sei, aber aus triftigem Grunde hinter dem Berge hält. Er sagte: »Zweifelsohne hatte ich einen gebildeten und reichen, dem Zirkusmilieu aber fernstehenden Mann vor mir. Ich verhehle meine Beobachtungen nicht, jedoch … Ja, selbst für mich, der ich in dreißig Jahren allerhand erlebte, ist er eine Rarität. Bei uns steht er nicht in Lohn und Brot. Er forderte nichts, bat um nichts. Ich weiß nichts über ihn. Seine Adresse ist mir unbekannt. Es wäre sinnlos, in dieser Hinsicht etwas zu erforschen, weil sein absolut einmaliger Auftritt weder mit seiner Vergangenheit noch mit seiner Person zu tun hat. Wir bedürfen dessen nicht. Doch der Zirkus ›Soleil‹ ist auf der Höhe und wird es bleiben, deshalb kann ich mir einen so seltenen Vogel nicht entgehen lassen. Er offerierte mehr, als selbst Barnum gäbe, würde er auferstehen und mit all seinen Tieren hier erscheinen.

    Dies ist sein Vorschlag: Er tritt vor dem Publikum ein einziges Mal auf, ein einziges Mal, nicht mehr und nicht weniger, ohne Honorar, ohne Bewirtung, ohne jegliches anderes Entgelt.« Diese drei »ohne« des Direktors Agassiz klangen solide und schmackhaft. »Ich bot ihm das eine und das andere an - vergebens.

    Da er es wünschte, setzte ich mich in eine Ecke, um ihn bei seiner Übung nicht zu behindern. Er trat an die Tür zurück, blinzelte geheimnisvoll und verschmitzt und - erhob sich in die Luft, ohne hochgesprungen zu sein, ohne sich irgendwie sichtlich angestrengt zu haben; mindestens zwei Sekunden verharrte er über dem Tisch, über diesem Tintenfaß hier, wonach seine Füße lautlos wieder den Boden berührten. Das war so sonderbar, daß ich zusammenfuhr, doch er blieb ruhig, wie Clown Doddy ruhig bleibt, wenn er in den Zähnen von Ernst Witt am Trapez herumgewirbelt worden ist. ›Das ist alles, was ich kann‹, erklärte er, als wir uns erneut gegenübersaßen, ›aber ich führe es mehrere Male aus - mit Anlauf und aus dem Stand. Möglicherweise werde ich in Form sein, so daß das Publikum noch mehr zu gewärtigen hat. Allerdings vermag ich mich dafür nicht zu verbürgen.‹

    Ich fragte ihn, was er von sich als solch einem beispiellosen Phänomen wisse und denke. Er zuckte die Schultern. ›Ich weiß nicht mehr als Sie; und wahrscheinlich nicht mehr, als manche Schriftsteller über ihre Sujets und Themen wissen - sie stellen sich ein. So stellt sich das auch bei mir ein.‹ Sonst erklärte er nichts. Ich war erschüttert. Ich bot ihm eine Million; er lehnte ab und gähnte sogar. Doch ich drängte ihn nicht. Seine Ablehnung war so entschieden und endgültig, daß mein Drängen ihn gedemütigt hätte. Aber selbstverständlich fragte ich ihn, was ihn bewege, sich öffentlich zu produzieren. ›Von Zeit zu Zeit‹, antwortete er, ›ermattet meine Gabe, sofern sie nicht aktiviert wird; und sie regeneriert sich völlig, wenn Zuschauer meinen Übungen beiwohnen. Dies ist die einzige Kugel, an die ich gekettet bin.‹ Nun, ich begriff gar nichts; wahrscheinlich hatte er gescherzt. Immerhin hatte ich den Eindruck gewonnen, mit einem bemerkenswerten Mann gesprochen zu haben, der strengstes Inkognito wahrt. Er ist jung, ernst wie ein Anatom und elegant gekleidet. Die Brillantnadel, die er trägt, ist ihre dreihunderttausend wert. Es lohnt, über all dies nachzudenken.«

    Gleich am nächsten Tag veröffentlichten die Morgen- und die Abendzeitungen das Interview mit Agassiz; eine Zeitung brachte sogar ein improvisiertes Porträt des seltsamen Gast-Solisten. Der Schnurrbart und der Haarschopf hätten jeder Haarwuchsreklame zur Ehre gereicht. Den Leser glotzte ein grimmiger Schönling an.

    Indessen fragte der Urheber dieses Aufruhrs, nachdem er die Zeitungen durchgeblättert und sich an dem interessanten Porträt genügend geweidet hatte: »Na, Drud, wirst du am Dreiundzwanzigsten im Zirkus sein?«

    Und er gab sich selbst die Antwort: »Ja. Ich werde dort sein und sehen, wie dieser Windstoß das träge Flämmchen des unwissenden Verstandes ausbläst, dessen sich der ›Herr der Natur‹ rühmt. Und Schweißtropfen werden sein Gesicht bedecken.«

    2

    Ebenso wie das Publikum war die Zirkustruppe, einschließlich der Diener, Platzanweiser und Stallknechte, von einer Woge äußersten Interesses erfaßt. Es wurde gemunkelt, der »Doppelstern« (wie er sich auf den Plakaten nennen ließ) sei ein Graf und Milliardär, woraufhin sich die Reiterinnen sogleich nach ihm verzehrten, und beim Gedanken an Restaurants und Juweliere lief ihnen das Wasser im Munde zusammen; die Ballerinen stellten in der Hoffnung, das erlauchte Original zu betören, unverzüglich hochnotpeinliche Spiegelbefragungen an und stritten mit Schaum vor dem Mund, für welche von ihnen er am tiefsten in die Tasche greifen werde. Die Clowns sinnierten, wie sie den Neuen parodieren und die Zuschauer zum Lachen bringen könnten. Der Dichterling Debort, ein Trunkenbold, hatte ihnen bereits ein paar Dialoge verfertigt, was ihn in die Lage versetzte, Branntwein zu trinken und mit Silbermünzen zu klimpern. Die vom Neid verdüsterten Akrobaten, Voltigeure und Jongleure behaupteten bis zum letzten Augenblick, der geheimnisvolle Gast-Solist sei ein Scharlatan aus Indien, wo er gelernt habe, ein bißchen mit Suggestion zu arbeiten, und prophezeiten ein Fiasko. Sie versuchten auch die Nachricht zu verbreiten, ihr Rivale sei ein entsprungener Sträfling. Obendrein setzten sie die Lüge in Umlauf, der »Doppelstern« sei ein mehrfach geschlagener Falschspieler. Die interessante Geschichte, wonach er den kuschenden Agassiz erpreßt und damit entwaffnet habe, war ihnen ebenfalls zuzuschreiben. Aber zum Kern der Sache vermochte sich keiner zu äußern; die Rauchspirale aus Klatsch und Tratsch wand sich empor, ohne das Eigentliche zu berühren. Clown Arsi allerdings, der zu wiederholen liebte: »Ich weiß alles und kenne alles, deshalb wundere ich mich über gar nichts«, verlieh seinem Spruch besonderen Nachdruck, wenn die Rede auf den »Doppelstern« kam; aber in dem kranken, galligen Gesicht des Clowns spiegelte sich die blanke Angst, daß sein armseliges Leben von etwas ereilt werden könne, woran er, da er die durch die Mühsal von Grimassen und Püffen erworbene Ruhe eingebüßt habe, voller Aufregung denke.

    Noch vielerlei, den sensationellen Auftritt betreffender verbaler Kehricht - Erfindungen, Geschwätz, Witze, Spott und Prophezeiungen - verfing sich in den Ohren verschiedener Leute, aber alles läßt sich nicht erlauschen. In der Staubsäule hinter den Hufen von Cäsars Pferden ist nicht jedes einzelne Körnchen wichtig; nicht gar so wichtig ist auch der Widerschein des Strahls, der durch die lila Wirbel hinter dem weißen Fleck des goldenen Imperatorhelms fährt. Cäsar wirbelt Staub auf … Der Staub und - Cäsar.

    3

    Am Dreiundzwanzigsten blieb die Zirkuskasse geschlossen. Ein Schildchen am Fenster verkündete: »Eintrittskarten restlos ausverkauft«. Trotz des hohen Preises waren sie im Handumdrehen vergriffen gewesen; die letzten Billetts wurden am Zwanzigsten verlost, weil sich die erbitterten Bewerber in die Haare geraten waren.

    Ein aufmerksamer Blick hätte an diesem Abend eine etwas ungewöhnliche Publikumsmischung wahrgenommen. Die Presseloge war zum Bersten voll; hinter den zusätzlich bereitgestellten Stühlen blinkten die Zwicker und Kragen derjenigen, die von einem Fuß auf den anderen traten, da sie zum Stehen verurteilt waren. Selbst in der Loge des Ministers war kein Platz frei. Dort schimmerte die anmutige Welt der schönen Augen und edlen Gesichter junger Frauen, der weißen Seide und Juwelen, die vor dem Hintergrund der Uniformen und Fräcke wie Kronleuchter gleißten; so läßt im schwarzen Schattensamt rieselndes Mondlicht die Fluten gleißen. Alle Logen, welche die karmesinrote Brüstung in buntem Kreis umgaben, waren von Luxus und Distinktion erfüllt; fröhlich lachend, leise, aber vernehmlich plaudernd, musterten die Elegants ihr Visavis in dem großen Zirkus. Über der Manege waltete der funkelnde Luftraum, der hoch oben von der Kuppel begrenzt wurde, durch deren geöffnete gläserne Luken das Blau des Abendhimmels schaute.

    Oberhalb der Sessel sah man die physiognomische Vielfalt der Intelligenz, der Kaufleute, der Beamten und der Militärs; hier und da tauchten die von Porträts bekannten Züge von Schriftstellern und Malern auf; ein ausgeklügelter Satz, eine treffende Bemerkung, eine erlesene literarische Wendung, Klatsch und familiäres Gezänk waren vernehmbar. Noch weiter oben hockte auf langen Bänken dicht an dicht die Straße, eine ungesiebte Menge - diejenigen, die mit Tausenden Beinpaaren rennen, gehen und stolzieren. Über ihnen aber, hinter einer hohen, mit Zirkusplakaten beklebten Barriere, schwitzten, auf Ellenbogen, Zehenspitzen, Kinnladen und Brüste gestützt, wie in eine Honigwabe gepreßt, die Parias des Zirkus, die Galerie; bemüht, die Arme wenigstens für einen Augenblick zu befreien, erduldeten sie die Qual der Schwüle und des Herzklopfens; ruhiger wirkten in diesem Mischmasch die Gesichter der übermäßig Großen. Hier wurden Nüsse geknabbert; das Krachen der Schalen vermengte sich mit Pfiffen und ungenierten Rufen.

    Die A-giorno-Beleuchtung, die ein derart grelles, intensives Licht erzeugte, daß alles, nah und fern, mit hellem Lack überzogen schien, hüllte die gegenüberliegende Seite in schimmernden Nebel, wo jedoch, wenn der Blick dort verhielt, alles so deutlich wie durch ein Fernglas zu erkennen war - die Gesichter und auch das Spiel der Mienen. Von den unter der Kuppel befestigten Trapezen und den Messingtrompeten der Musiker, die inmitten der schwarzen Notenpulte mit den Noten raschelten, bis hin zu den frischen Sägespänen in der Manege stand der lichtdurchflutete Zirkus im Banne der Frohsinn verbreitenden elektrischen Kronleuchter. Hatte man die Augen geschlossen, so konnte man nach dem Gehör alle Punkte des Raumes bestimmen - das Knarren eines Stuhles, Husten, der verhaltene Halbtakt einer Flöte, das Grummeln einer Trommel, erregtes Geflüster und Brausen, Wasserrauschen ähnlich, hervorgerufen von den Bewegungen und dem Atmen der in den Rundbau gepferchten Menschenladung. Es roch durchdringend nach Wärme, Pferdestall, Sägespänen und feinen Parfüms - das traditionelle, der Buntfarbigkeit der Vorstellung verwandte Zirkusaroma.

    Der Beginn verzögerte sich; Ungeduld bemächtigte sich des Publikums; Applaus rollte die Galerien entlang, prasselte bald stärker, bald schwächer. Aber da klingelte es scheppernd und zittrig zum drittenmal. Das dumpfe Silber der Pauken rumste, die Posaune jaulte, die Trommel feuerte einen Schuß ab; das Messing und die Saiten intonierten zum Flötenspiel einen kriegerischen Marsch, und die Vorstellung begann.

    4

    Für diesen Abend hatte die Direktion die besten Kräfte aufgeboten. Agassiz wußte, daß die Pfade zum Gipfel steil sind. Und er schlug den Zuschauer immer mehr in Bann, indem er mit sparsamer und strenger Mannigfaltigkeit Eindruck auf Eindruck schichtete; demzufolge mußte das Publikum den angestauten Jubel dem krönenden Ende bekunden. Am Schluß des Programms aber hieß es: »Der Doppelstern«.

    Die Manege war zum Leben erwacht. Die Turner wurden von den Pferden abgelöst, die Pferde von den Clowns, die Clowns von den Akrobaten; die Jongleure und die Zauberkünstler folgten dem Löwenbändiger. Zwei Elefanten mit umgebundenen Servietten speisten, an einem gedeckten Tisch sitzend, manierlich zu Abend, und nachdem sie mit fürstlichem Rüsselschwung ein Trinkgeld hingeworfen hatten, fuhren sie auf Holzkugeln spazieren. Die tiefsinnige Erstarrung der Clowns in dem Augenblick, als sie mit der Guttaperchawurst den unvermeidlichen Schlag ins Gesicht bekamen, bescherte den vor Lachen schmerzenden anfälligen Köpfen manche Migräne. Die Clowns kratzten sich und witzelten noch, da flogen auf asturischen weißen Pferden ein Reiter und eine Reiterin herein und jagten im Kreise herum. Es waren dies ein Bacchus und eine Bacchantin, mit Schneeleoparden-Fellen, Kränzen und Rosengirlanden geschmückt; während sie wie der Wind dahinstoben, mimten sie eine Szene im Charakter von Ballett und Akrobatik; dann verschwanden sie und hinterließen in der Luft den Glanz und das Beben graziös wilder, in malerischen Attitüden befangener Körper. Nach ihnen, von Trompetenschall angekündigt, erschienen die Löwen, nahmen Platz und übertönten mit ihrem Gebrüll das Orchester; ein peitscheknallender Mann in schwarzem Frack demütigte sie nach Gutdünken; Schaum troff von ihren Mäulern, dennoch tanzten sie Walzer und sprangen durch einen Reifen. Vier unter der Kuppel schaukelnde Turner schwangen sich in beängstigenden Volten von einem Trapez zum anderen. Ein japanischer Zauberkünstler zog eine mit Wasser gefüllte massive gläserne Vase, in der Fische schwammen, aus dem Kragen seines Trikots. Ein Jongleur wies nach, daß es keine Gegenstände gab, mit denen man nicht spielen konnte, indem er sie in die Luft warf und sie, ohne sich zu verletzen, so sicher fing wie eine Schwalbe die Fliegen; sieben brennende Lampen stiegen aus seinen Händen auf - leicht wie eine Fontäne. Den zweiten Teil beschloß der Reiter Richelieu, der stehend auf fünf rotbraunen, weißmähnigen Pferden galoppierte und so gelassen von einem aufs andere wanderte, wie unsereins Stühle wechselt.

    Ein Klingelzeichen leitete die Pause ein; das Publikum strömte ins Foyer, in die Rauchzimmer, Erfrischungsräume und Ställe. Diener brachten die Manege in Ordnung. In diesen fünfzehn Minuten machte Runa Begwem, des Ministers Nichte, alle Hoffnungen des Hauptmanns Gall zunichte, der eigentlich nichts Besonderes gesagt hatte. Von seiner Liebe hatte er ihr schon am Morgen in dumpfem Tone gesprochen, doch sie waren gestört worden. Da hatte Runa ihn mit höchst eindeutiger Kälte verabschiedet, Galls betörtes Herz indessen hatte den Gleichmut ihres Blicks nicht verstanden; nun nutzte er die Gelegenheit, da niemand nach ihnen sah, um die herabhängende Hand des Mädchens zu nehmen und sacht zu drücken. Runa entzog sie ihm entschlossen und drehte sich nach ihm um, wobei ihr Kinn gegen den Samt des Sessels stieß. Das Fältchen, das sich auf ihrer Stirn bildete, zeugte von feiner Ironie, und ihre Augen sagten - nein.

    Gall war in den letzten Tagen sehr abgemagert. Sein linkes Lid zuckte nervös. Er heftete einen so verzweifelten und forschenden Blick auf Runa, daß sie ein wenig sanfter wurde.

    »Gall, alles geht vorüber! Sie sind doch stark! Mir tut es aufrichtig leid, daß Ihnen dies passiert, daß ich die Ursache Ihres Kummers bin.«

    »Niemand sonst könnte es sein«, erwiderte Gall, der nur sie sah. »Ich bin nicht mehr ich selbst. Am schlimmsten ist, daß Sie noch nie geliebt haben.«

    »Wie?!«

    »Dieser Bereich Ihres Innersten ist unberührt. Andernfalls würde vielleicht die Erinnerung an das Gefühl Ihrem Herzen über den toten Punkt hinweghelfen.«

    »Ich weiß nicht. Aber es ist gut, daß sich unser Gespräch nun auf der Ebene von Überlegungen bewegt. Ich darf hinzufügen, daß ich eine Liebe, die nicht mein Schicksal wäre, für ein Unglück halten würde.«

    Runa musterte die Logenreihe, als suche sie zu ergründen, ob dieses Unglück nicht schon jetzt irgendwo unter den unverwandten Männerblicken lauere; aber sie war der Bewunderung so überdrüssig, daß sie ihr verächtlich zerstreut wie ein Krösus begegnete, der ein paar Kupfermünzen Wechselgeld einstreicht.

    »Liebe und Schicksal sind eins …« Gall stockte. »Oder … was wollten Sie sagen?«

    »Ich meine ein außergewöhnliches Schicksal, Gall. Ich weiß«, Runa hob resigniert die nackte Schulter, »daß ich eines solchen Schicksals unwürdig bin.« Der Hochmut ihrer Worte war von einem unvergleichlichen Lächeln verhüllt. »Dennoch will ich, daß es ein besonderes Schicksal sei.«

    Gall deutete ihren stolzen Traum auf seine Weise. »Natürlich kann ich mich nicht mit Ihnen messen«, sagte er ehrlich gekränkt und nicht minder ehrlich begeistert. »Sie sind würdig, Königin zu sein. Ich bin ein gewöhnlicher Sterblicher. Doch auf Ihren Befehl hin würde ich ohne zu zaudern alles tun.«

    Runa zog die Brauen hoch, lächelte aber. Eine starke Liebe weckte in ihr religiöse Rührung. Da Gall sie nicht verstand, hatte sie plötzlich das Bedürfnis, ihm seelisch näher zu kommen. So lieben es gute Menschen, zu einem Bettler wehleidig von seinem bitteren Los zu sprechen und dann ihre Empfindungen zum Thema »Bin ich ein guter Mensch?« zu analysieren. Den Bettler aber schert das nicht.

    »Wahrscheinlich bin ich klüger, als es der Rang einer Königin erfordert«, sagte Runa. »Denn ich kenne die Menschen. Sie werden staunen: Ein Schicksal, dem ich begegnen könnte, ohne es geringzuschätzen, ist kaum möglich. Wahrscheinlich ist es so. Ich bin sehr eitel. Alles, was ich darüber denke, ist

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