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Gefallene Engel: Eine Detektivgeschichte aus der Zeit, als deutsche Spieler Tennisgeschichte schrieben.
Gefallene Engel: Eine Detektivgeschichte aus der Zeit, als deutsche Spieler Tennisgeschichte schrieben.
Gefallene Engel: Eine Detektivgeschichte aus der Zeit, als deutsche Spieler Tennisgeschichte schrieben.
Ebook791 pages10 hours

Gefallene Engel: Eine Detektivgeschichte aus der Zeit, als deutsche Spieler Tennisgeschichte schrieben.

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About this ebook

Man kann sie verdrängen, verheimlichen, schön reden oder einfach versuchen zu vergessen. Aber niemand kann seiner Historie entfliehen.
Insbesondere wenn die Taten der Vergangenheit ihre Schatten bis in die Gegenwart werfen und Tobias Blank die Hände im Spiel hat, bleiben auch die dunkelsten Geheimnisse nicht länger im Verborgenem.
Denn wenn er sich etwas vorgenommen hat, schreckt der Privatermittler vor beinahe nichts zurück. In dieser Episode trägt er nicht nur seine eigene Haut zu Markte, sondern er legt sich auch mit schweren Jungs und leichten Mädchen an.
Selbst undurchsichtige Agenten und ausländische Spione können Tobias Blank nicht aufhalten der Gerechtigkeit zum Erfolg zu verhelfen.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateMay 3, 2016
ISBN9783734526336
Gefallene Engel: Eine Detektivgeschichte aus der Zeit, als deutsche Spieler Tennisgeschichte schrieben.

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    Book preview

    Gefallene Engel - Hans-Joachim Haake

    Das Jahr neigte sich dem Ende entgegen. Mochte man den Wetterprognosen trauen, sollte in den nächsten Tagen der Winter in Niedersachsen einziehen. Die ersten Nachtfröste hatte es bereits gegeben und das schien darauf hinzudeuten, dass die Vorhersagen der Meteorologen wohl stimmten. Ein großräumiges Tiefdruckgebiet sollte von Skandinavien kommend auch bald den ersten Schnee bringen. Ende November eigentlich nichts Ungewöhnliches, dachte Blank und er schaltete das Autoradio aus und die Fahrzeugbeleuchtung ein.

    Es war kurz nach 16.00 Uhr. Die letzten kümmerlichen Sonnenstrahlen verabschiedeten sich gerade, verschwanden hinter dichten Wolken. Ein Lieferwagen, dessen Fahrer es besonders eilig hatte und trotz durchgezogenem Mittelstreifen überholen musste, wirbelte bunt gefärbtes Laub auf. Kleine Farbtupfer auf dem Asphalt der Bundesstraße 3, die Blank gemächlich in Richtung Nordosten dahin zuckelte. Es war nicht unbedingt die richtige Jahreszeit für eine Spazierfahrt. Aber es gab einen Grund, die Umgebung zu betrachten. Blank war auf der Suche nach einem Hinweis.

    Sein Freund und Geschäftspartner Miko hatte ihn gebeten, eine alte Bekannte aufzusuchen. Sie sollte irgendwo zwischen Hannover und Celle ein Gasthaus mit dem ausgefallenen Namen „Hexenküche" betreiben. Angeblich sei Miko noch nie dort gewesen, daher konnte er den Weg nicht genau beschreiben. Irgendwie hatte Blank aber das Gefühl, das ihm der Freund nicht ganz die Wahrheit erzählt hatte. Nicht einmal den eigentlichen Grund für diesen Besuch hatte Miko angegeben, weil er den nach eigenem Bekunden, nicht kannte. Blank würde es vor Ort schon erfahren, hatte der Freund mit so einem merkwürdigen Blick gesagt. Immerhin schien Miko der Wunsch aber wichtig genug zu sein, dass er Blank seinen Wagen überlassen hatte. Das passierte wirklich nicht oft. Obwohl die Nobelkarosse mit dem Stern eigentlich ein Firmenwagen war, wurde er sonst nur von Miko benutzt.

    Nach außen hin trat der Freund als Chef der gemeinsam betriebenen Detektei „MIKOS" auf und er meinte, es wäre dieser Funktion durchaus angemessen, bei Kundenbesuchen repräsentativ aufzutreten.

    Blank gönnte dem Freund diesen Spleen, denn er hatte auch so einige Marotten.

    Zum Beispiel besaß er kein eigenes Fahrzeug. Nicht einmal einen eigenen Hausstand. Der Privatermittler liebte seine Unabhängigkeit über alles und wollte sich nicht mit unnützem Ballast herumärgern.

    Vor- und Nachteile hielten sich in etwa die Waage. Jedenfalls bewertete Blank das so und er war zufrieden, so wie es war.

    Hätte er nicht explizit darauf geachtet oder wäre er schneller gefahren, wäre ihm das unscheinbare Hinweisschild nicht aufgefallen. Im ersten Augenblick erinnerte die angerostete Emailletafel an das Verkehrsschild Einbahnstraße. Nur die Beschriftung war eben anders und trotz aufgeblendeter Scheinwerfer kaum noch zu lesen. Der Richtungspfeil deutete eindeutig nach links. Blank drosselte die Geschwindigkeit, betätigte den Blinker und bog im Schritttempo ab.

    Das konnte doch unmöglich der richtige Weg zu einem Gasthaus sein, dachte Blank, denn er blickte auf einen unbefestigten Feldweg, der schnurgerade in die Botanik zu führen schien. Dieser Saumpfad wurde wohl überwiegend von landwirtschaftlichen Fahrzeugen benutzt. Aber um diese Jahreszeit dürften die umliegenden Felder nicht mehr bearbeitet werden, überlegte Blank weiter. Wären da nicht die im Scheinwerferlicht deutlich erkennbaren Reifenspuren eines Pkws gewesen, wäre Blank wohl nicht weiter gefahren. Er schaltete in den zweiten Gang und ließ den Wagen langsam über die unbefestigte Buckelpiste rumpeln. Nach etwa zweihundert Metern wurde der Untergrund spürbar besser. Mit eingeschaltetem Fernlicht erreichte Blank ein lichtes Wäldchen, wo sich der Weg gabelte.

    Bis hierher hätte man vielleicht noch denken können, dass die verrostete Hinweistafel auf eine längst nicht mehr existierende Gaststätte hinwies. Aber, das war allem Anschein nach ein Trugschluss. Ein sauberes, gut lesbares Schild verwies auf den weiteren Weg:

    Noch können sie umkehren!

    Aber, wenn sie den linken Weg benutzen, erreichen sie nach 100 Metern unweigerlich die

    HEXENKÜCHE

    Es war inzwischen zappenduster.

    Nachdenklich blickte Blank auf das merkwürdig erscheinende Schild. Was immer der Verfasser auch bezweckte, eines hatte er in jedem Fall erreicht: Der Leser wurde neugierig.

    Blank machte da keine Ausnahme und er folgte dem linken Weg.

    Am Ende des kleinen Wäldchens war das Fernlicht nicht mehr notwendig. Eine einsame Laterne spendete genug Licht, um den freien Platz vor dem ländlichen Gebäude erkennen zu können.

    Unwillkürlich dachte Blank an das Märchen von Hänsel und Gretel. So in etwa könnte man sich die Behausung der bösen Hexe vorstellen. Die Laterne beleuchtete die Vorderfront des Hauses nur schemenhaft. Mit ein wenig Fantasie konnte das Fachwerk auch als Lebkuchenteile interpretiert werden.

    Dieser erste Eindruck wurde sogleich zerstört, als Blank den Wagen weiter rollen ließ. Im Licht der Scheinwerfer entpuppte sich die Illusion als gewöhnlicher Bauernhof. Im Hintergrund war ein Nebengebäude erkennbar.

    Vor dem Hauptgebäude hielt Blank an. Er stellte den Motor ab und das Licht aus. Erst in der relativen Dunkelheit wurde der schwache Lichtschein hinter den verhüllten Fenstern sichtbar. Demnach schien das Gebäude bewohnt zu sein, dachte Blank. Aber es gab nicht den kleinsten Hinweis auf ein Gasthaus und er wurde erneut unsicher, ob dies wirklich die richtige Adresse war.

    Möglicherweise hatte irgendein Witzbold diese warnende Hinweistafel aufgestellt, sinnierte Blank. Jedoch enthielt der ungewöhnliche Name Hexenküche auch einen Wink, der in Richtung Speiselokal deutete.

    Endgültige Gewissheit konnte er wohl nur bekommen, wenn er ausstieg und nachsah.

    Blank öffnete die Fahrzeugtür.

    Er war jetzt froh, dass er einen Mantel mitgenommen hatte, denn es war empfindlich kalt geworden. Das frostige Gefühl mochte vielleicht auch daher rühren, dass er sich nicht so ganz wohl in seiner Haut fühlte.

    Dennoch ging Blank geradewegs auf die Eingangstür zu.

    Vergeblich suchte er nach einem Schild, woraus er schließen könnte, wer oder was sich hinter der Fassade verbergen mochte. Es gab noch nicht einmal eine Klingel.

    Blank zögerte.

    Sollte er einfach so die Tür öffnen?

    Hin und hergerissen, zwischen Zweifel und Neugier, fasste Blank auf die Türklinke. Die massive Holztür war nicht verschlossen und er drückte sie ganz auf. Sofort strömte ihm wohlig warme Luft entgegen. Blank blieb auf der Schwelle stehen und blickte in den hell erleuchteten Hausflur, von dem mehrere Türen weiter in das Gebäude führten.

    Ein undefinierbarer, aber äußerst angenehmer Duft erfüllte die Luft des Korridors und erinnerte an die unzähligen Aromen in einer Parfümerie. Die typischen Gerüche, welche im Umfeld einer Speisegaststätte zu erwarten waren, fehlten hier. Ein Umstand, der Blank abermals zweifeln ließ.

    Vielleicht wäre es doch besser, den Rückzug anzutreten, da er offensichtlich noch nicht bemerkt worden war, dachte Blank. Eine innere Stimme hielt dagegen und suggerierte, die unverschlossene Haustür als Einladung zu verstehen. Da er schon so weit eingedrungen war, konnte er auch den nächsten Schritt wagen.

    Blank schloss die Haustür und ging ein paar Schritte weiter, bis er die erste Tür erreichte. Ein beruhigendes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit.

    An der Tür hing ein schlichtes, aber eindeutiges Schild:

    HERZLICH WILLKOMMEN

    In der Hexenküche

    Er war offensichtlich doch an der richtigen Adresse. Erleichtert knöpfte Blank seinen Mantel auf. Ihm war warm geworden und das lag nicht nur daran, dass in diesem Haus die Heizung voll aufgedreht war.

    Gespannt öffnete Blank die beschilderte Tür und er wurde erneut überrascht.

    Eine gemütlich eingerichtete Gaststube erwartete den Besucher. Es schien alles vorhanden zu sein, was von einem Landgasthof erwartet wurde: hübsch eingedeckte Tische, dezente indirekte Beleuchtung, ein in Norddeutschland typischer Tresen mit Barhockern davor und einer verspiegelten Rückwand dahinter.

    Auf den Regalen standen diverse Spirituosen und verschiedenartige, blitzblank polierte Gläser. Was allerdings auffiel, war der Umstand, dass er mutterseelenallein in dem Gastraum stand. Das war insofern auch kein Wunder, dachte Blank, denn der Weg hierher war nicht so einfach zu finden gewesen. Was die Frage aufwarf, wie der oder die Betreiber auf ihre Kosten kommen wollten. Aus dieser Gaststätte konnte man ganz sicher mehr machen, wenn die Zufahrt deutlicher gekennzeichnet wird.

    Das war aber nicht seine Sache, dachte Blank und er zog seinen Mantel aus. In diesem Raum schien es noch wärmer zu sein und er war froh, als er die neben der Eingangstür angebrachten Garderobenhaken an der Wand entdeckte. Am liebsten hätte Blank auch seine Jacke ausgezogen. Aber das schickte sich wohl nicht in einem Speiselokal. Er beschränkte sich darauf, die Knöpfe seines Sakkos zu öffnen. Da er die freie Auswahl hatte, setzte sich Blank an den Tisch gleich vor dem Tresen. Er kam sich etwas verloren vor.

    Der Ermittler war schon in unzähligen Restaurants, Gaststätten und auch einfachen Kneipen eingekehrt. So unterschiedlich diese Lokalitäten auch waren, eines hatten alle gemeinsam: Sie waren von außen als solche zu erkennen und es gab eindeutige Gästehinweise, beispielsweise auf die Öffnungszeiten.

    Vielleicht hatte er diese Angaben in der Dunkelheit übersehen, dachte Blank und möglicherweise war heute sogar Ruhetag. Allerdings sprach etwas dagegen, überlegte Blank weiter, weshalb stand die Eingangstür offen.

    Da war es wieder, dieses merkwürdige Gefühl, dass hier etwas nicht ganz koscher zu sein schien.

    Was hatte sich der Freund nur dabei gedacht, ihn hierher zu schicken?

    Und wieso ist Miko nicht selber gefahren, da ihm dieser Besuch offensichtlich sehr wichtig war.

    Bei einem Fremden hätte Blank vermutet, dass er verkohlt werden sollte. Aber, Miko war ein sehr guter Freund. Er würde sich ganz bestimmt keinen Scherz erlauben. Obwohl, erinnerte sich Blank, der merkwürdig, beinahe hinterlistige Gesichtsausdruck, den er bei seinem Partner erkannt zu haben wähnte, gab ihm doch zu denken.

    Allmählich wurde es ihm zu bunt.

    Blank stand auf, ging an den Tresen und machte lautstark auf sich aufmerksam: „Hallo - Bedienung!"

    Keine Reaktion.

    Das darf doch nicht wahr sein, dachte Blank verärgert. Schon wollte er seinem Unmut endgültig Ausdruck verleihen und nochmals rufen – da wurde eine schmale Tür neben dem Tresen geöffnet.

    Eine Frau betrat den Raum.

    Blanks empfindliche Antennen spürten sofort die autoritäre, kühl wirkende Ausstrahlung, welche von der dominanten Person ausging und er war geneigt daraus zu schließen, dass der Besucher nicht erwünscht sein könnte. Dieser erste Eindruck wurde noch verstärkt durch den ernsten Gesichtsausdruck der Frau. Die akkurat nach hinten gekämmten, zu einem Dutt geflochtenen ergrauten Haare, sowie die dunkle, eng anliegende Kleidung erinnerte an eine Art Uniform. Alles in allem unterstrich dieses Aussehen das gebieterisch erscheinende Bild einer strengen Gouvernante, die keine Widerworte duldete.

    Blank war nicht so leicht einzuschüchtern. Aber bei dieser Person fehlten ihm die Worte. Allerdings, eine Kleinigkeit irritierte doch ein wenig. Das auffallend geschminkte Gesicht mit grellrot angemalten Lippen, die jetzt zu sprechen begannen: „Entschuldigen Sie vielmals, ich bin untröstlich, dass Sie warten mussten."

    Die spröde, dennoch feste Stimme passte zu dieser Person, die allem Anschein nach über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein verfügte. Nur die freundlichen Worte schienen dagegen zu sprechen, zumal die Frau noch eine weitere, um Nachsicht bittende Erklärung abgab: „Um diese frühe Stunde sind Gäste eher selten."

    „Kann ich trotzdem etwas zu Essen bekommen oder ist die Küche geschlossen?", fragte Blank noch etwas unsicher. Aber, sein kurz aufgekeimter Ärger war verraucht.

    „Hier können Sie fast alles bekommen, was Körper und Geist begehren. Wenn Sie es wünschen, auch etwas zu essen", antwortete die hagere Frau und sie verzog das Gesicht, was wohl ein Lächeln ausdrücken sollte.

    Blank kam es eher wie ein arglistiges Grinsen vor. Was die altersmäßig schwer einzuschätzende Frau eigentlich ausdrücken wollte, vermochte er nicht zu ergründen. Immerhin schien es etwas Essbares zu geben, dachte Blank.

    Während er sich wieder an den Tisch setzte, ging die Frau hinter den Tresen, wo sie eine Speisekarte holte.

    Damit kam sie an den Tisch.

    Aus der Nähe betrachtet, waren die Falten deutlich sichtbar. Da schien auch das dick aufgetragene Make-up nichts mehr verdecken zu können. Die Frau dürfte die Fünfzig bereits vor längerer Zeit überschritten haben und je länger Blank das Gesicht studierte, bekam er das Gefühl, das er sich getäuscht haben könnte. Die zweifellos vorhandenen Fältchen waren nämlich nur an den Regionen besonders ausgeprägt, wo die Gesichtsmuskeln beim Lachen unweigerlich angestrengt wurden.

    Diese Erkenntnis ließ die Sympathiewerte augenblicklich ein wenig ansteigen und Blank schaute die Frau entspannt freundlich an. Sie mochte sich den äußeren Anschein einer autoritären Person geben, doch ihr wahres Wesen konnte sie damit nicht ganz kaschieren.

    Dass sich hinter der strengen Fassade noch weitere Geheimnisse verbargen, konnte Blank erahnen, als sich die Frau über den Tisch beugte und ihm die Speisekarte vorlegte.

    „Unsere Menüauswahl ist üppiger, als Sie vielleicht denken werden", sagte die Wirtsfrau und Blank war sofort davon überzeugt, noch bevor er einen Blick auf die Speisekarte geworfen hatte.

    „Bitte wählen Sie in aller Ruhe aus", sagte sie dann auch noch.

    Blank musste sich zwingen, seine Augen auf den Tisch zu senken, während ihm weiter erklärt wurde: „Falls Sie besondere Wünsche haben, fragen Sie einfach. Doch vorweg möchte ich Ihnen noch ein Begrüßungsgetränk anbieten, da Sie offensichtlich zum ersten Mal den Weg in die Hexenküche gefunden haben."

    Konsterniert nickte Blank. Die merkwürdigen Anspielungen bereiteten ihm jedoch einiges Kopfzerbrechen.

    Rein äußerlich unterschied sich die Menükarte nicht von den vielen anderen, die er schon in den Händen gehalten hatte. Erst als Blank die Speisekarte aufschlug und neugierig durchblätterte, war er zunächst erstaunt, dann zunehmend enttäuschter. Was er da ablesen konnte, schien so gar nicht der vollmundigen Ankündigung der Wirtin zu entsprechen. Auf etwa einem Dutzend verschiedenfarbigen Seiten wurde im Grunde nur ein Gericht angeboten, nämlich Schnitzel.

    Neben den Farben unterschied sich das Angebot nur im Namen. Da gab es zum Beispiel ein Schnitzel a la Babette oder Schnitzel a la Susann. Die Auswahl der Beilagen war offensichtlich frei wählbar. Man konnte aber auch einfach ein Komplettmenü nach Art des Hauses bestellen. Nur hier wurde überhaupt ein Preis angegeben und der erschien Blank doch sehr dreist zu sein. Stolze 50,00 Mark für ein läppisches Schnitzel. So viele Beilagen konnte man gar nicht bestellen, um solch einen Preis zu rechtfertigen und der Hinweis, dass es ein Dessert nur auf Anfrage geben würde, machte dieses Angebot sogar noch unverschämter.

    Kein Wunder, dass er hier ganz allein saß, dachte Blank verärgert und in Anbetracht dieser Preise war ihm der Appetit gründlich vergangen. Offensichtlich wurden die wenigen Gäste, die sich hierher verirrten, schamlos übervorteilt.

    An dieser Beurteilung änderte sich auch nichts, als die schwarz gekleidete Dame an den Tisch kam und die angekündigten Getränke servierte. Mehr noch, dieser undefinierbare hellblaue Cocktail, mit einer Kirsche und Holzpicker, schien zu beweisen, das Blank nicht in einem Restaurant, sondern in einem Hexenhaus gelandet war.

    Wie selbstverständlich setzte sich die vermeintliche Oberhexe an den Tisch, hob ihr Glas und sagte: „Sehr zum Wohl und nochmals herzlich willkommen."

    Dabei rührte sie mit der Kirsche in dem Getränk herum, steckte das Obststückchen danach mit einer anzüglichen Lippenbewegung in den Mund und kippte die ölige Flüssigkeit hinterher.

    „Haben Sie sich bereits für ein Gericht entschieden?", wollte sie grinsend wissen.

    Blank schaute die Frau sichtlich verwirrt an und antwortete: „Ich glaube, ich werde noch etwas warten. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich eigentlich gar keinen Hunger."

    „Oh ja, das kann ich durchaus verstehen, erwiderte sie und erklärte: „So geht es den meisten Gästen, die zum ersten Mal dieses Haus besuchen. Aber, nicht umsonst sagt man, dass der Appetit beim Essen kommt. Sie werden diese Redensart aus einer völlig neuen Perspektive kennenlernen.

    Sie schien das völlig ernst zu meinen, dachte Blank. Eine Bemerkung konnte er sich aber nicht verkneifen: „Ehrlich gesagt finde ich den Preis für ein einfaches Schnitzel etwas übertrieben. Die Beilagen scheinen den Preis auch nicht zu rechtfertigen."

    „Das ist überhaupt kein Problem. Wenn Ihnen die vorgeschlagenen Beilagen nicht zusagen, können wir gerne über Ihre speziellen Wünsche sprechen", erklärte die Wirtin entgegenkommend.

    „Um welchen Betrag würde der Preis verringert werden, wenn ich beispielsweise ein Schnitzel ohne Beilagen bestellen würde?", wollte es Blank ganz genau wissen.

    Wie aus heiterem Himmel verzog die hagere Wirtsfrau das Gesicht und fing schallend an zu lachen. Zumindest bekam Blank den Beweis für seine Beurteilung, denn nun zeigten sich ganz deutlich die ausgeprägten Lachfältchen. Aber, den Grund für den Lachanfall verstand er nicht.

    „Na Sie sind mir vielleicht ein Spaßvogel. Offensichtlich wollen Sie mich auf den Arm nehmen."

    Jetzt verstand Blank gar nichts mehr. Was war an seiner Frage denn so spaßig. Sein ernster, fragender Gesichtsausdruck schien jetzt auch der schwarzen Dame aufgefallen zu sein und sie stellte schmunzelnd fest: „Ich glaube, es war mein Fehler. Entschuldigen Sie. Es ist schon geraume Zeit nicht mehr vorgekommen, dass ein Gast nicht unsere spezielle Karte verlangt hat. Den Begrüßungscocktail dürfen Sie aber trotzdem gerne trinken", sagte sie großzügig und stand auf.

    Völlig verdattert sah Blank der Wirtin hinterher. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der lange Rock einen gewagten Seitenschlitz hatte. So ein Kleidungsstück war nicht unbedingt für die Straße geeignet. Allmählich begann Blank zu ahnen, wo er gelandet sein könnte.

    Die Frau kam zurück, legte Blank eine zweite Speisekarte auf den Tisch und sagte versöhnlich: „Ich denke, hier werden Sie eher das finden, was Sie erwartet haben. Vorher erlauben Sie mir noch eine Frage?"

    „Aber sicher doch", erwiderte Blank freundlich lächelnd.

    Die Wirtin machte allerdings ein sehr ernstes Gesicht, als sie misstrauisch nachfragte: „Sind Sie nur zufällig hierher gekommen?"

    „Eigentlich nicht, antwortete Blank aufrichtig, „ein Freund hat mir dieses Gasthaus empfohlen.

    „Ach ja, dann hat Ihr Freund Ihnen offenbar einiges verschwiegen", meinte die Frau nachdenklich.

    Wenn sie wüsste, wie recht sie hatte, dachte Blank und er stellte fest: „Zu dieser Erkenntnis bin ich inzwischen auch gekommen."

    Dann widmete sich Blank der neuen Speisekarte und musste zu seiner Freude feststellen, dass in der Tat auch ganz normale, gutbürgerliche Gerichte zu fairen Preisen angeboten wurden. Unter anderem auch ein Schnitzel, zum fast schon sensationell günstigem Preis von gerade mal 7,90 DM.

    „Darf ich Sie auch etwas fragen", wandte sich Blank an die Wirtin, die inzwischen hinter den Tresen gegangen war.

    „Selbstverständlich, dafür bin ich schließlich hier."

    „Äh, ja, also ich möchte nicht unverschämt erscheinen. Aber, hier wird das Schnitzel zu einem wirklich günstigen Preis angeboten …, „Ja und?, unterbrach die Wirtin, noch bevor Blank seine eigentliche Frage formuliert hatte. Doch er ließ sich nicht beirren und sagte: „Also, ich verstehe die gravierenden Unterschiede nicht."

    Aus dem wie versteinert wirkendem Gesicht konnte man nicht erkennen, woran die Wirtsfrau im Moment dachte.

    Blank spürte instinktiv, dass seine Feststellungen nicht gut angekommen waren.

    Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht, denn die Frau erwiderte ange-säuert: „Für einen zufälligen Besucher sind Sie recht anmaßend. Uns ist eigentlich jeder Gast willkommen, aber da Sie offensichtlich nur spionieren wollen und nichts essen möchten, wäre es in Ihrem Interesse besser, wenn Sie jetzt gehen."

    So wie sie das sagte, klang es nicht wie eine Bitte.

    „Dann möchte ich bitte ein Schnitzel aus dieser Karte und ein kühles Bier dazu", gab Blank seine Bestellung auf und ignorierte die versteckte Drohung.

    Für einen Moment starrte die Wirtin den Gast mit strengen Blicken an. Dann trat sie einen Schritt zur Seite und öffnete die Tür neben dem Tresen.

    „Resi! Kommst du bitte mal!, rief sie in den Raum dahinter und Blank dachte zufrieden, dass die Wirtin seine Bestellung weiter geben wollte. Tatsächlich lugte kurz darauf ein Kopf um die Türecke und fragte: „Was schreist du so?

    Das pummelige Gesicht mit den kurz gelockten brünetten Haaren machte auf Blank einen eigentlich freundlichen Eindruck. Jedoch wurde er eines Besseren belehrt. Das manifestierte sich in den Worten, die er von der Wirtin hörte: „Der Herr möchte gehen und findet den Ausgang nicht."

    „Wegen so einer halben Portion rufst du mich von der Arbeit weg", maulte die Brünette, wobei sie einen Schritt vortrat.

    Entsetzt blickte Blank zur Tür.

    Dem Anschein nach war es die Köchin, denn sie trug eine weiße Schürze über dem ärmellosen Kleid. Aber, das stellte Blank nur nebenbei fest und es war nicht der Grund für seinen Schreck. Dass sie ihn für eine halbe Portion hielt, war in Anbetracht ihrer Körperfülle durchaus angemessen. Die Frau war nicht nur einen Kopf größer, sondern auch doppelt so breit wie Blank. Ihre stämmigen Arme entsprachen in etwa Blanks Oberschenkeln und endeten an zwei imposanten Händen. Der Anblick allein war schon Respekt einflößend. Obwohl Blank bisher nur einen Teil der Statur gesehen hatte. Die eindrucksvolle Figur passte aufgrund der breiten Schultern nicht zwischen den engen Türrahmen. Deshalb wandte sie sich jetzt zur Seite und drängte sich so durch die Tür. Dabei hatte sie einige Mühe ihren mächtigen Vorbau mitzu-nehmen.

    Trotz des freundlichen Lächelns bekam es Blank mit der Angst zu tun. Mit dieser Frau war nicht gut Kirschen essen.

    Als die Köchin nun ihre fleischigen Hände drohend an die Hüften legte, sah sich Blank genötigt aufzustehen.

    Auch ohne weitere Worte begriff Blank, dass er hier nicht länger erwünscht war. Resi schien sich ihrer körperlichen Überlegenheit voll bewusst zu sein und vermutlich schmunzelte sie deshalb auch ein wenig hinterhältig.

    Wenn sie jetzt loslief, dachte Blank besorgt, dann würde er wie von einer Dampfwalze überrollt werden.

    Aber, die Dicke blieb neben dem Tresen stehen.

    Es gab nur zwei Möglichkeiten, schätzte Blank seine Chancen ein: Entweder freiwillig das Weite suchen oder der vermeintlichen Bedrohung mutig und entschlossen entgegen treten. Allerdings nicht körperlich, da würde er wohl den kürzeren ziehen, zumal Blank gegen eine Frau nie handgreiflich werden würde. Aber verbal fühlte er sich der Situation gewachsen und Blank versuchte entspannt zu wirken, als er die Wirtin fragte: „Interessiert es Sie denn nicht, wer mich hergeschickt hat?"

    „Sie geben es also zu, dass Sie hier spionieren wollen", erwiderte die Frau jetzt erst recht misstrauisch geworden.

    „Nein, das haben Sie völlig falsch verstanden", erwiderte Blank.

    „Sie machen zwar einen vertrauenerweckenden Eindruck, aber ich glaube Ihnen nicht, stellte die Wirtin fest und sie blickte die Köchin an. Die reagierte auch sofort und fragte. „Soll ich den Burschen jetzt raus werfen oder nicht?

    „Das sollten Sie sich wirklich überlegen, denn Sie haben doch ein Problem, sagte Blank, „oder etwa nicht?

    „Wie kommen Sie denn darauf?", konterte die Wirtin.

    „Also, mir reicht es jetzt, mischte sich die Köchin ein und ging auf Blank zu. Der stand hinter dem Tisch, ließ es darauf ankommen und antwortete: „Sie haben doch einen Freund angerufen und um dessen Hilfe gebeten.

    Die Köchin hatte den Tisch erreicht.

    Ihr Gesichtsausdruck hatte sich merklich verändert. Sie schien wütend und zu allem bereit zu sein.

    „Warte Resi!", rief die Wirtin.

    Blank schaute erleichtert zum Tresen.

    Offenbar besaß die Frau tatsächlich die Autorität, welche Blank ihr unterstellt hatte.

    Resi blieb stehen. Sie wandte sich um und fragte irgendwie enttäuscht: „Seit wann sind wir auf Hilfe angewiesen? Bislang haben wir unsere Angelegenheiten selbst in die Hand genommen."

    „Darum geht es nicht, meine Beste, sagte die Wirtin zunächst an die Adresse der Schwergewichtigen, um sich dann direkt an Blank zu wenden: „Raus mit der Sprache: Was wollen Sie wirklich hier und wer hat Sie geschickt?

    „Sie wissen doch am Besten, wen Sie angerufen haben", antwortete Blank ausweichend.

    „Ich möchte es von Ihnen hören. Und zwar etwas plötzlich, sonst werden Sie Resi kennenlernen", forderte die Wirtin.

    „Schon gut. Ich bin Tobias Blank und mein Freund Max Mikolajusewitsch hat mich gebeten …, „Sie kommen von Miko!, unterbrach die Wirtin sichtbar überrascht.

    Blank nickte zur Bestätigung und behielt vorsichtshalber die Köchin im Auge.

    Sie schien nicht recht zu wissen, was sie tun sollte.

    Schneller als erwartet entspannte sich die Situation.

    Die Wirtin kam zum Tisch, legte ihre hagere Hand auf die muskulösen Schultern der Köchin und sagte freundlich: „Danke Resi. Ich denke, deine Anwesenheit ist nicht länger erforderlich."

    „Wie du meinst, Chefin", erwiderte die Dicke und schaute noch einmal abschätzend auf den Gast, bevor sie sich zurückzog.

    Spürbar ruhiger wandte sich die Wirtin an Blank: „Damit habe ich nicht gerechnet. Der alte Feigling hat sich wohl nicht hergetraut und stattdessen einen Grünschnabel als Vertretung vorgeschickt."

    „Entschuldigen Sie. Aber, das verstehe ich jetzt nicht", stellte Blank irritiert fest.

    Die Hagere wirkte gelöst und lachte jetzt so ansteckend, das Blank beinahe mitgelacht hätte. Allerdings wartete er erst noch auf eine Erklärung.

    „Setzen wir uns doch wieder – und den Grünschnabel nehme ich zurück. Es war nicht so gemeint, sagte die Frau entschuldigend und fragte dann etwas vorwurfsvoll: „Wieso haben Sie denn nicht gleich gesagt, was Sie hierher geführt hat? Wir hätten uns diesen unerfreulichen Zwischenfall ersparen können.

    Im Nachhinein betrachtet wäre es wohl weniger aufregend gewesen, musste Blank insgeheim zugeben, doch laut erwiderte er. „Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich hier richtig bin und Miko hat mir leider keine Einzelheiten mitgeteilt. Daher wollte ich mich erst einmal umschauen und mir ein eigenes Bild machen."

    „Und was ist dabei herausgekommen?", wollte die Wirtsfrau neugierig wissen.

    „Ganz ehrlich?", fragte Blank nach.

    „Ich bitte darum", forderte sie ihn auf.

    „Es spricht einiges dafür, dass Sie hier ein nicht ganz alltägliches Speiselokal betreiben. Aber, zu einem abschließenden Urteil bin ich noch nicht gekommen", stellte Blank vorsichtig fest.

    „Ihr erster Eindruck hat Sie nicht getäuscht. Sie befinden sich in einem Speiselokal. Was unseren Gästen sonst noch geboten wird, lässt sich allerdings mit einem Satz nicht erklären. Es hat sich im Laufe der Zeit so entwickelt. Ich habe unserem gemeinsamen Freund nichts erzählt, weil ich dachte, er würde persönlich vorbei kommen", erwiderte die Frau und sie schien plötzlich sehr nachdenklich zu sein.

    „Woher kennen Sie Miko eigentlich?", fragte Blank, um das Gespräch in Gang zu halten.

    „Es ist schon verdammt lange her. Wir haben uns bestimmt seit zwanzig Jahren nicht mehr getroffen. Irgendwie erinnern Sie mich sogar an ihn. Aber, Sie erscheinen mir jünger zu sein, daher meine anmaßende Titulierung, für die ich mich nochmals entschuldigen möchte."

    „Das brauchen Sie nicht. Es passiert mir öfters, dass man mich altersmäßig falsch einschätzt. Obwohl Miko nur ein Jahr älter ist, erwiderte Blank, „wir kennen uns schon seit der Schulzeit und arbeiten jetzt seit über 15 Jahren zusammen. Aber, von Ihnen hat er mir nie etwas erzählt.

    „Dann erlauben Sie, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Olga Lakvikova, entgegnete die Wirtin und kurz angebunden fügte sie hinzu: „Ich war mal die Nachbarin von Mikos Eltern.

    „Es freut mich sie kennenzulernen, sagte Blank und er stellte fest: „Ich werde mit Miko ein ernstes Wort reden müssen, weil er mir nichts von Ihnen erzählt hat.

    „Sie sollten mit Miko nicht so streng ins Gericht gehen. Ich denke, er wird seine Gründe haben. Über manche Dinge redet man eben nicht. Ach, lassen wir das, es ist schon verdammt lange her. Umso erfreuter bin ich, dass Miko Sie zu mir geschickt hat, und nennen Sie mich bitte Olga."

    Nach der distanzierten Begrüßung kam dieser Vorschlag doch überraschend. Aber wieso eigentlich nicht, dachte Blank. Diese ungewöhnliche Frau wurde ihm zunehmend sympathischer und er antwortete auf seine ureigene charmante Art: „Es ist mir ein Vergnügen, Olga. Dann müssen – ähm, dann musst du auch Tobias sagen, und Miko nehme ich es jetzt erst recht übel, dass er mir die Beziehung zu so einer außergewöhnlichen Dame vorenthalten hat."

    „Das ist sicherlich nett gemeint, aber ich bin ganz bestimmt keine Dame, sondern eher das Gegenteil davon. Schau mich nur genau an: Du siehst eine alte Schachtel vor dir, mit der niemand etwas zu tun haben möchte, entgegnete Olga ernst und abwertend. Mit hängenden Schultern fügte sie bedrückt hinzu: „Möglicherweise hat unser Freund deshalb nichts von mir erzählt.

    Diese selbstkritische Beurteilung überraschte Blank in zweifacher Hinsicht. Sollte er sich so getäuscht haben. Diese Frau machte keineswegs den Eindruck, dass sie sich die Wurst vom Brot nehmen lassen würde und diese Verbitterung schien überhaupt nicht zu ihrer lebensbejahenden Ausstrahlung zu passen.

    Er ging aber nicht näher darauf ein, sondern widersprach heftig: „Obwohl wir uns noch nicht so gut kennen, muss ich energisch protestieren. Mir ist lange keine so starke, selbstbewusste Frau begegnet. Deine Ausstrahlung spricht für einen starken Willen und Durchsetzungsvermögen. Die Personen in deiner näheren Umgebung dürften das zu schätzen wissen und dich respektieren und dir vertrauen. Dass Miko nicht persönlich erschienen ist, liegt nur daran, dass wir sehr viel zu tun haben. Aber, es war ihm sehr wichtig, deiner Einladung zu entsprechen. Deshalb hat er mich, seinen besten Freund damit beauftragt. Ich kann dir versichern, Miko würde gute Freunde nie im Regen stehen lassen und Gleiches gilt auch für mich, obwohl ich nicht weiß, um was es eigentlich geht. Ich hoffe daher, dass du mir ebenfalls so viel Vertrauen schenken wirst, wie unserem Freund. Und noch etwas: Ich finde dich nicht nur sehr sympathisch, sondern auch ausgesprochen attraktiv und nicht zuletzt halte ich dich auch für eine kluge Geschäftsfrau. Egal was du von dir denkst."

    Mit solch einem positiven Votum schien Olga nicht gerechnet zu haben, denn sie schaute Blank sichtlich verlegen an.

    „Entschuldige mich bitte für einen Moment", sagte sie, stand auf und verschwand durch die schmale Tür.

    Was hatte das denn zu bedeuten, dachte Blank, er hatte doch nichts Falsches gesagt. Seine Angaben entsprachen weitestgehend der Wahrheit. Seine persönliche Beurteilung war aufrichtig gemeint und keineswegs verletzend gewesen. Nur in Bezug auf Mikos Beweggründe hatte Blank vielleicht ein wenig geflunkert, denn im Moment hatte die Detektei keine besonders wichtigen Aufträge. Alles andere traf aber zu.

    Blank kannte Miko schon seit der Schulzeit. Da Miko ein Jahr älter war, hatte er die Schule früher verlassen und sie hatten sich ein paar Jahre aus den Augen verloren. In dieser Zeit musste der Freund unter anderem auch diese Olga getroffen haben. Es gab eigentlich keine Geheimnisse zwischen den Freunden, aber über diesen Zeitraum ihrer Biografien, hatten sie sich bisher kaum unterhalten. Bei Blank war der Grund relativ leicht zu erklären. Er hatte seine Eltern bei einem tragischen Unfall verloren. Da er sich bis heute irgendwie schuldig fühlte, wollte er nicht daran erinnert werden. Vermutlich schleppte Miko auch ein unbewältigtes Trauma mit sich herum, über das er nicht reden wollte.

    Blank unterbrach die Überlegungen. Olga kam zurück. Sie ging hinter den Tresen und sagte offenkundig wieder gefasst: „Du wolltest doch ein kühles Bier. Das kann ich jetzt auch brauchen."

    Blank nickte dankbar, denn es war tatsächlich unerträglich warm in der Gaststube und er zog jetzt doch die Jacke aus und stülpte sie einfach über die Stuhllehne.

    Olga zapfte am Bierhahn und knüpfte an das Gespräch an, so als ob nichts gewesen wäre: „Miko ist mir vor einem Jahr schon einmal behilflich gewesen. Ich weiß also, was ihr beruflich treibt."

    „Du brauchst demnach die Hilfe eines Ermittlers?", fragte Blank sofort nach, denn er war gespannt darauf endlich zu erfahren, was er hier sollte.

    „Nun ja, ob ihr wirklich helfen könnt. Also, ich bin mir da nicht so sicher", erwiderte Olga noch ungenau.

    „Nur zu, Olga. Wo drückt dich der Schuh?", fragte Blank neugierig geworden.

    Bevor sie etwas sagen konnte, betrat ein Gast das Lokal. Er schien sich hier auszukennen, denn er winkte Olga nur kurz zu und ging wieder hinaus. Die Wirtin hatte die Biergläser mit einer schönen Schaumkrone schon in der Hand, blieb noch kurz an der Tür zur Küche stehen und rief: „Babette, dein Gast ist da!"

    Erst dann kam Olga an Blanks Tisch und erklärte: „Ein Stammgast. Er kommt alle zwei Wochen."

    „Ach ja. Aber warum ist er wieder hinausgegangen?", wollte Blank wissen.

    Olga schmunzelte, stellte die Gläser ab, setzte sich an den Tisch und sagte sichtlich amüsiert: „Erst mal Prost. Dann werde ich alle deine Fragen beantworten."

    Sie hob ihr Glas, hielt es Blank entgegen und er tat es mit seinem ebenso. Nach einem Schluck des Gerstensaftes übernahm Olga sofort wieder das Wort: „Ich sollte dir zunächst einiges erklären, damit du keinen falschen Eindruck bekommst. Wie du zweifellos und richtig festgestellt hast, ist dieses Lokal – nun ein wenig anders. Wir haben einen ganz besonderen Service für die überwiegend männlichen Gäste."

    „Du meinst die bunte Speisekarte", warf Blank ein.

    „Richtig. Da du allein gekommen bist, habe ich gedacht, dass du diesen Service in Anspruch nehmen wolltest. Was du selbstverständlich immer noch tun kannst, denn du bist natürlich mein Gast."

    „Danke für das großzügige Angebot. Aber, ich habe im Moment wirklich keinen Hunger. Ich würde doch erst über dein eigentliches Anliegen sprechen wollen", erwiderte Blank und wurde immer ungeduldiger.

    „Verstehe schon, dir ist unsere Hexenküche nicht ganz geheuer. Habe ich recht?", fragte Olga und schien sich köstlich zu amüsieren.

    „Na ja, deine merkwürdigen Andeutungen sind mir schon ein wenig suspekt", gestand Blank ein.

    „Es ist im Grunde ziemlich einfach, erwiderte Olga und erklärte weiter: „Wahrscheinlich sind dir die Türen auf dem Flur bei deiner Ankunft aufgefallen. Dort haben wir ein paar lauschige Separees eingerichtet, wo man in aller Ruhe speisen kann und die Kellnerinnen tun nichts anderes, als den Gästen, quasi als Tischdamen, Gesellschaft zu leisten.

    „Ein ziemlich kostspieliges Vergnügen", meinte Blank gereizt, weil er immer noch nicht durchschaute, was hier eigentlich gespielt wurde.

    „Es mag auf den ersten Blick so aussehen. Aber, ein zweiter Blick wird dich vom Gegenteil überzeugen. Unseren Gästen gefällt es jedenfalls und viele kommen gerne wieder", behauptete Olga und ließ Blank weiterhin im ungewissen.

    Langsam aber sicher wurde es ihm zu bunt. Farbige Speisekarten, nur ein Gericht und das zu einem überhöhten Preis. Als ob das nicht schon genug wäre, sollte man sich auch noch beim Essen zusehen lassen. Das machte irgendwie keinen Sinn.

    Olga hatte inzwischen ihr Bier ausgetrunken und fragte: „Möchtest du vielleicht auch noch ein Glas?"

    Inzwischen war Blank auch der Durst vergangen und er wollte sich ernsthaft beschweren – doch dazu kam er nicht mehr. Links neben dem Tresen gab es noch eine Tür, die ihm bisher nicht aufgefallen war. Eine junge Frau trat heraus. Sie balancierte zwei Teller auf der rechten Hand.

    Aber, das nahm Blank nur am Rande war. Mit halb geöffnetem Mund starrte er auf den Körper der bis auf ein paar weiße Kniestrümpfe und flachen Schuhen hatte sie nämlich nichts weiter an.

    „Danke, dass du diesen kleinen Umweg gemacht hast, Babette", sagte die Wirtin.

    Das Mädchen lächelte freundlich zurück und verschwand wie ein Spukgespenst durch die Tür hinaus auf dem Flur.

    Olga blickte Blank schmunzelnd an und erklärte: „Der Stammgast bevorzugt kleine Portionen. Nur mit ein wenig Salat. Und bevor du etwas Falsches denkst: Babette ist älter, als sie aussieht."

    Blank war noch so überrascht, dass er eigentlich an gar nichts dachte.

    „Bist du vielleicht doch auf den Geschmack gekommen?", wollte Olga wissen und schaute ihn neugierig an.

    „Wir sollten lieber über den eigentlichen Grund deiner Einladung sprechen, erwiderte Blank ausweichend. Insgeheim ging ihm allerdings etwas anderes durch den Kopf. Um Gewissheit zu erlangen, musste er einfach fragen: „Wenn es solch kleine Portionen gibt …, „du kannst auch eine extra große Portion bekommen, nahm Olga die logische Frage auf und erklärte: „Du hast Resi kennengelernt. Wie dir sicher aufgefallen ist, hat sie mächtig Holz vor der Hütte, wie man so schön sagt und um deiner nächsten Frage zuvor zu kommen: Je weniger Beilagen ein Gast wünscht, desto freizügiger zeigen sich die Tischdamen.

    Damit waren einige der zweideutigen Bedeutungen der Menükarte erklärt und allmählich meinte Blank zu verstehen, was dieses Haus beherbergte. In dieser Hinsicht erschienen fünfzig Mark sogar noch preisgünstig zu sein. Aber, deshalb war er schließlich nicht den weiten Weg aus Hannover hierher gekommen. Derartige Etablissements gab es auch in der Landeshauptstadt, falls jemand das Verlangen verspürte, die Dienste einer Dame des horizontalen Gewerbes in Anspruch zu nehmen. Olga war im Grunde wohl nichts anderes, als eine Puffmutter. Was Blank aber nicht abfällig bewertete, ganz im Gegenteil. Seine Einschätzung ihrer Persönlichkeit wurde sogar noch untermauert und er sagte aufgeschlossen: „Diese Lokalität hat in der Tat einige Überraschungen anzubieten. Ich meine das durchaus im positiven Sinne und jetzt bin ich erst recht gespannt darauf, wie wir dir helfen können."

    „Dich scheint so schnell nichts aus der Ruhe zu bringen. Du bist ein guter Beobachter, hast eine rasche Auffassungsgabe und du scheinst auch eine gute Menschenkenntnis zu besitzen, stellte Olga anerkennend fest und fügte hinzu: „Nun verstehe ich auch, wieso Miko dich zu mir geschickt hat.

    Dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck und betrübt stellte sie fest: „Aber, in einer Hinsicht hast du dich getäuscht. Leider bin ich keine gute Geschäftsfrau. Ich habe meine Fähigkeiten wohl überschätzt. Wenn die Mädels nicht …, den Rest des Satzes schluckte Olga herunter. Rasch stand sie auf: „Ich brauche jetzt noch ein Bier. Du vielleicht auch?

    „Lieber etwas Alkoholfreies. Ich muss noch fahren", erwiderte Blank.

    „Das musst du nicht. Mein Angebot steht noch. Du bist mein Gast und kannst auch gerne die Nacht hier verbringen", bot Olga an.

    „Nochmals vielen Dank, ich weiß dein großzügiges Angebot zu schätzen, möchte aber keinen falschen Eindruck erwecken und deine Gastfreundschaft über Gebühr ausnutzen", stellte Blank klar.

    Olga schenkte sich ein Bier ein, öffnete eine Flasche Mineralwasser und kam zurück.

    „Auch wenn der Kunde bei uns König ist, heißt das noch lange nicht, dass wir alles anbieten. Ich wollte dir lediglich ein Bett zur Verfügung stellen."

    Blanks nachdenklicher Blick animierte Olga noch etwas zu erklären: „Wir betreiben hier kein Bordell, falls du das gedacht haben solltest. Alles anschauen ist erlaubt, aber darüber hinaus sind die Servicedamen tabu."

    „Oh!", sagte Blank nur.

    „Ja, das hast du wohl nicht erwartet", meinte Olga.

    „Ehrlich gesagt, nein."

    Olga trank einen Schluck, atmete tief durch und sagte: „Es wird wohl das Beste sein, ich beginne von Anfang an. Vor etwa fünf Jahren habe ich dieses alte Anwesen käuflich erworben. Der ehemalige Bauernhof war ziemlich heruntergekommen und daher nicht sehr teuer. Allerdings haben die Renovierung und der Umbau mehr gekostet, als ich erwartet hatte. Dennoch schienen meine Ersparnisse fürs Erste zu reichen und ich sah der Zukunft optimistisch entgegen. Leider war das ein Trugschluss. Was ich mir eigentlich vorgenommen hatte, entpuppte sich als eine Illusion, wurde gar zu einem Albtraum."

    „So ein Hof scheint mir für eine Person auch etwas zu groß zu sein", meinte Blank, während Olga einen Schluck Bier zu sich nahm.

    „Dieser Rückzugsort war doch nicht nur für mich gedacht. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass es noch andere Huren geben müsste, die ihre Tätigkeit an den Nagel hängen wollten. Die sich mit ihrem sauer verdienten Geld einen geruhsamen Lebensabend gönnen wollten. Aber, Pustekuchen. Alle Ehemaligen, die ich überzeugen konnte hier einzuziehen, hatten kaum etwas auf der hohen Kante. Alles verprasst oder von ihren Zuhältern einkassiert. Ich habe mein Leben lang gespart und mich nicht ausnehmen lassen, aber so weit hatten die Kolleginnen wohl nicht gedacht. Dennoch habe ich ihnen ein Dach über dem Kopf angeboten und dabei unterstützt, wieder ein einigermaßen normales Leben aufzubauen, auch mit finanzieller Unterstützung. Nur konnte das logischerweise nicht lange gut gehen. Zumal ich dann auch wesentlich jüngere Frauen aufgenommen habe, die noch gar keine Gelegenheit hatten, größere Beträge zurückzulegen, aber unbedingt das Milieu verlassen wollten."

    Erneut machte Olga eine Trinkpause und Blank sah die Frau urplötzlich in einem ganz anderen Licht.

    „Und wie hast du dann doch die Kurve gekriegt? Ich meine, jetzt scheint es doch nicht nur finanziell gesehen, ganz gut auszusehen."

    „Wir können in der Tat nicht klagen. Aber, das war ein steiniger Weg und ohne die jüngeren Kolleginnen hätte ich das nie geschafft. Nun, um es kurz zu machen. Als ich eines Tages, es wird etwa zwei Jahre her sein, ich war mal wieder unterwegs um Spenden einzusammeln, neue Kontakte zu knüpfen und weitere potenzielle Aussteigerinnen anzusprechen. Also, bei meiner Rückkehr haben mir die Frauen ein Angebot unterbreitet, das mich fast umgehauen hat."

    „Sie wollten doch nicht etwa wieder ihrer alten Tätigkeit nachgehen", warf Blank ein, dem die Lebensgeschichte dieser Frau immer mehr unter die Haut ging.

    „Darauf wäre es früher oder später wohl hinausgelaufen. Aber damit wäre mein Traum endgültig geplatzt. Auch wenn mir das Wasser bis zum Hals stand, musste es einen anderen Weg geben. Du kannst dir mein Dilemma vielleicht vorstellen. Mein guter Vorsatz, jungen Frauen wieder zu einer gutbürgerlichen Existenz zu verhelfen, wäre ins Gegenteil verkehrt worden. Sie wären wieder im Sumpf der Prostitution gelandet, aus dem ich sie herausziehen wollte."

    Olga trank den letzten Schluck. Mit belegter Stimme setzte sie ihre Geschichte fort: „Dieser Raum, in dem wir hier sitzen, war früher unser Gemeinschaftsraum, wo wir zusammen gegessen und Pläne für die weitere Zukunft geschmiedet haben. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass ich aufgrund meiner bewegten Vergangenheit gute Kontakte aufgebaut habe. Darunter auch zu ein paar ehrenwerten Geschäftsleuten, die ich davon überzeugen konnte, Lehrstellen oder Arbeitsplätze in ihren Betrieben bereitzustellen. Das reichte jedoch nicht, um allen Aussteigerinnen eine Perspektive anzubieten. Erst als ich Resi getroffen habe, kam uns die rettende Idee. Wir sollten eine Art Ausbildung anbieten. Man sieht es ihr nicht unbedingt an, aber Resi hat vielseitige Talente, ist unter anderem eine exelende Köchin. Kurzum, mit unseren letzten finanziellen Reserven, haben wir uns eine professionelle Küche einrichten und diesen Raum in eine Gaststube umbauen lassen. Das Gasthaus Hexenküche war geboren und wir konnten Kellnerinnen und Küchenhelferinnen ausbilden. Geschultes Personal in Hotels oder Restaurants unterzubringen, war dann auch nicht das Problem. Woran wir in der Euphorie aber nicht gedacht hatten, war die Tatsache, dass wir natürlich auch zahlende Gäste brauchten. Vor diesem Hintergrund kamen die Mitbewohnerinnen mit ihrem Vorschlag. Der Kompromiss, auf den ich mich schweren Herzens habe einlassen müssen, schlug ein wie eine Bombe."

    „Du meinst sicher die bunte Speisekarte", stellte Blank erneut fest.

    „Die kam erst etwas später und so, wie sie jetzt aussieht, hat sich das erst im Laufe der Zeit entwickelt. Anfangs lag der besondere Reiz für die Gäste lediglich darin, dass die Damen oben ohne bedient haben. Für sie war das aufgrund ihrer Vergangenheit keine Überwindung. Ihre körperlichen Reize darzubieten, gehörte quasi zu ihrem ehemaligen Berufsbild, wenn man das so ausdrücken will. Jedenfalls sprach es sich herum, dass es hier nicht nur gutes Essen, sondern auch etwas zum Anschauen gab. Das alles, ohne das wir die Werbetrommel gerührt haben. Zunächst spielte sich alles in diesem Raum ab, bis wir nach und nach das Geld hatten, um weitere Räumlichkeiten entsprechend einzurichten. Ich weiß gar nicht mehr, wer damit angefangen hatte. Eines schönen Abends kamen ein paar Mädchen in aufreizenden Dessous aus der Küche. Die haben das hinter meinen Rücken ausgeheckt und ich konnte nicht mehr einschreiten, denn die Gäste waren schier aus dem Häuschen. Mir blieb nichts anderes mehr übrig, als erneut einzulenken und dann haben wir uns zusammengesetzt und diese verschiedenfarbigen Menükarten entwickelt. Wie du dir wahrscheinlich inzwischen denken kannst, entsprechen die jeweiligen Farben den Dessous, den die – nun ich nenne sie weiterhin Servicedamen, tragen. Und wie bereits gesagt, es ist nur anschauen erlaubt."

    Insgeheim leistete Blank Abbitte. Die Hexenküche war keineswegs ein Puff, wie er unterstellt hatte. Eine Frage beschäftigte ihn aber doch noch: „Die Servicedamen möchten also nur Appetit machen. Gegessen werden soll dann zu Hause. Obwohl das nicht so ganz passt, denn essen dürfen die Gäste ja. Aber, was ist, wenn sich einer nicht an die Regeln hält und mehr möchte oder gar handgreiflich wird."

    Olga hatte wieder ihr hintersinniges Lächeln aufgesetzt und erwiderte: „Dafür haben wir Resi und ich bin schließlich auch noch da."

    Sie beugte sich über den Tisch und raunte Blank zu: „Im Nebenraum haben wir Kontrollmonitore und in den Separees befinden sich versteckte Kameras. Aber, das wissen die Gäste selbstverständlich nicht."

    „Ihr scheint das gut durchdacht zu haben. Eine letzte Frage habe ich aber noch: Was hat der Nachtisch auf Nachfrage zu bedeuten?"

    Darauf schien Olga nicht gleich antworten zu wollen. Rang sich dann aber doch zu einer Erklärung durch.

    „Die Frauen wissen von den Kameras. Na ja – manchmal kann es schon passieren, dass sich eine Tischdame und ein Gast ganz besonders sympathisch finden. Ich hoffe, du verstehst das nicht falsch, es ist reine Privatsache was sich daraus entwickelt und wir wollen hier nicht päpstlicher sein, als der Papst. Lange Rede kurzer Sinn. Im Bedarfsfalle können die Kameras ausgeschaltet werden. Genügt dir das als Erklärung."

    „Voll und ganz. Ich denke, ich sollte mich bei dir entschuldigen, weil ich – nun ich hatte wirklich geglaubt, dass ich hier in einem verkappten Bordell gelandet bin. Dass du dich um Frauen aus dem Rotlichtmilieu kümmerst und ihnen zu einer neuen Zukunft verhilfst, finde ich – was soll ich sagen, mir fallen nicht die richtigen Worte ein. Ich - ich habe wirklich außerordentlichen Respekt, dass du dich dieser aufopferungsvollen Aufgabe gestellt hast."

    „Danke Tobias. Es tut richtig gut, so lobende Worte von einem Außenstehenden zu hören. Mir ist es in der Tat gelungen, schon mehr als sechzig Frauen aus den Klauen von Zuhältern oder Bordellbetreibern zu befreien. Aber, es gibt leider noch viel zu viele, die erbarmungslos unterdrückt und ausgebeutet werden. Wenn ich nur daran denke, kocht mir die Galle über."

    „Solch großherzige, hilfsbereite Menschen wie dich, gibt es leider viel zu wenig. Ich kann deine Verbitterung jetzt auch nachvollziehen. Daher vermute ich mal, dass dein Hilferuf irgendwie mit deiner jetzigen Arbeit zu tun hat. Oder?"

    „In gewisser Weise trifft das schon zu, bestätigte Olga. Dabei stand sie auf und erklärte: „Ich hole Florentine dazu. Sie kann es dir aus berufenem Munde berichten, was mich umtreibt.

    Wieder ging Olga zu der schmalen Tür und verschwand in der Küche. Kurz dachte Blank daran in der Karte nachzuschauen, auf welcher farbigen Seite das Menü Florentine angeboten wurde. Doch er unterdrückte seine Neugier. Der Grund dieses Gesprächs war nach Olgas Ausführungen von sehr ernster Natur. Spekulationen, in welcher Wäsche die Dame erscheinen würde, schienen nicht angemessen zu sein.

    Blank trank einen Schluck Wasser und überlegte stattdessen, ob Miko wirklich nichts von Olgas Aktivitäten wusste. Eigentlich war der Freund stets bestens informiert. Da er die Frau schon länger kannte, musste er doch wissen, welchem Gewerbe sie nachging oder nachgegangen war. Unwillkürlich stellte sich Blank auch die Frage, ob sich Miko und Olga im Rahmen ihrer Tätigkeit kennengelernt hatten. Aber, das war im Moment nicht von Belang. Was die umtriebige Frau heute tat, stand eindeutig im Vordergrund und Blank war jetzt schon geneigt, seine uneingeschränkte Hilfe anzubieten.

    Egal, um was es auch gehen mochte.

    Gleich würde er es wohl genau wissen, dachte Blank, denn Olga kam zurück und hatte die angekündigte Begleiterin im Schlepptau, die sofort seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

    Die mit blonden Strähnchen durchsetzten roten Haare rahmten ein dezent geschminktes Gesicht ein. Eine Bluse, die mit einem Knoten vor der Brust zusammengeknotet war, ließ den BH durchschauen. Dafür war der Bauchnabel komplett frei. Die Rothaarige trug einen superkurzen Minirock, der erkennen ließ, dass die Strümpfe an Strapsen befestigt waren. Das aufregendste war jedoch die Farbe der Dessous. Je nachdem wie sich die Trägerin bewegte, erschien der glänzende Stoff mal dunkelblau oder türkis.

    Beim Anblick dieser verführerischen Erscheinung musste einem Mann unwillkürlich heiß werden und das lag bestimmt nicht nur an der überheizten Raumluft. Die, wie jetzt sichtbar, natürlich der dürftigen Bekleidung der Frauen geschuldet war.

    Olga war zuerst am Tisch und stellte die Begleiterin vor. Blank stand auf, verbeugte sich und reichte Florentine die Hand. Ob es hier üblich war, wusste er zwar nicht, aber Blank war von der Person so angetan, dass er diese höflichen Verhaltensweisen einfach für angebracht hielt. Das strahlende Lächeln belohnte Blank reichlich dafür.

    Sie setzten sich und die Hausherrin übernahm sofort die Gesprächsführung: „Florentine hat zuletzt in Celle gearbeitet und ist erst seit drei Wochen hier. Ihr sind Neuigkeiten zu Ohren gekommen, die mir wie schon gesagt, die Galle überkochen lassen."

    Olga wandte sich an die Tischnachbarin und sagte: „Aber, vielleicht erzählst du besser weiter, bevor ich mich zu sehr aufrege."

    Die Rothaarige sagte zunächst nichts, schaute Blank mit neugierigen Blicken an und fragte Olga dann: „Ist das der alte Freund, von dem du gesprochen hast? Wenn dem so ist, dann hat er sich verdammt gut gehalten."

    „Oh, vielen Dank, sagte Blank, noch bevor Olga etwas erwidern konnte, „auch ich komme nicht umhin festzustellen, dass Sie ganz bezaubernd aussehen. Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen.

    „Sieh mal an. Ein höflicher Charmeur - ist mir lange nicht mehr begegnet. Sie gefallen mir und das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Ich hätte nichts dagegen, wenn wir uns bei einem gemeinsamen Essen etwas näher kennenlernen würden."

    „Lass das jetzt. Wir sitzen hier nicht zum Vergnügen zusammen, mischte sich Olga ein, „unser Besucher ist der Freund eines Freundes. Er besitzt mein vollstes Vertrauen. Du kannst also ganz offen sprechen.

    „Wenn du das sagst, wird es wohl stimmen", meinte Florentine.

    Da sie Blank genau gegenüber saß, wusste sie, dass er jede Bewegung genau beobachten konnte. Es begann damit, dass sie sich aufrecht hinsetzte und den Rücken durchdrückte. Automatisch wurde der Oberkörper nach vorn gestreckt. Ob es beabsichtigt war, mochte Blank nicht beurteilen. Jedenfalls lockerte sich der Knoten der Bluse, die dabei etwas nach unten verrutschte. Blanks vollständiger Aufmerksamkeit gewiss, berichtete die Rothaarige: „Wie Olga schon erwähnt hat, habe ich in einem Celler Klub gearbeitet. Es ist ein ziemlich mieser Schuppen. Ich hatte daher schon länger mit dem Gedanken gespielt, von dort zu verschwinden. Nur wusste ich nicht so richtig, wie ich das anstellen sollte, denn freiwillig hätte man mich nicht so ohne Weiteres gehen lassen und vor allem hatte ich keine Vorstellung davon, wohin ich gehen könnte. Bis eines Tages Olga auf der Bildfläche erschien und mir einen Weg aufzeichnete, wie ich diesen widerlichen …, „komm zur Sache, unterbrach Olga gereizt, „das interessiert doch niemanden mehr."

    Florentine wandte sich abrupt zur Seite, was die zusammengeknotete Bluse noch weiter löste, und erwiderte der Hausherrin: „Für mich ist es schon wichtig. Denn ohne deine Hilfe wäre ich nie von dort weg gekommen."

    Dann blickte sie Blank wieder an und erzählte weiter: „Also, unter dem Vorwand einen Frauenarzt aufzusuchen, habe ich den Klub verlassen. Olga hat mich dann aufgelesen und hierher geführt. So, das musste ich erst einmal loswerden. Denn ich kann es immer noch nicht ganz fassen, dass ich nicht mehr für alte geile Böcke tanzen und mich von ihnen begrapschen lassen muss. Als Tischdame in dieser angenehmen Umgebung zu arbeiten ist dagegen ein reines Vergnügen. Zumal, wenn man dabei auch noch nette höfliche Männer kennenlernt …, „bitte Florentine, nun ist es wirklich genug, unterbrach Olga erneut.

    „Schon gut. Ich komme zur Sache", lenkte die Rothaarige ein und was sie dann erzählte, hätte sich Blank nie vorstellen können. Demnach sollte es in Celle ein Etablissement geben, wo minderjährige Mädchen zur Prostitution gezwungen werden. Der Zutritt solle streng kontrolliert werden und Florentine wollte gehört haben, dass die Mädchen wie Gefangene eingesperrt wurden.

    Kaum hatte die Rothaarige ihren Bericht beendet, brauste Olga auf und geiferte los: „Ich habe bestimmt schon einiges gesehen und erlebt. Aber, wenn das stimmt, dann muss unbedingt etwas dagegen unternommen werden. Es ist schon schlimm genug, dass Frauen gezwungen werden sich mit perversen Schweinen abzugeben. Bei Kindern wird jedoch eine Grenze überschritten, wo – wenn ich nur daran denke, könnte ich die Wände hochgehen."

    Olga war außer sich. Sie sprang plötzlich auf, wobei der Stuhl umkippte, und lief hinter den Tresen.

    „Ich brauche jetzt einen Schnaps, bevor mir die Galle hochkommt", sagte sie, dabei kippte sie ein halbes Wasserglas voll und trank den Klaren in einem Schluck. Danach kam sie mit ein paar Gläsern und der Flasche an den Tisch zurück.

    Blank hatte den Stuhl wieder aufgestellt, was Olga mit einem dankbaren Blick würdigte und er sagte mit belegter Stimme: „Ich bin genauso entsetzt und kann deine Erregung verstehen. Aber meinst du wirklich, dass diese Gerüchte der Wahrheit entsprechen."

    Kaum hatte er das ausgesprochen, wandte sich Blank hastig an Florentine: „Damit möchte ich nicht sagen, dass du dir das nur ausgedacht hast."

    „Ich kann es ja auch kaum glauben und wollte, es wäre nur leeres Gerede, entgegnete Florentine, „aber der Freier, der mir davon berichtet hat, ist bestimmt kein Aufschneider. Obwohl er nach eigenen Angaben nie dort gewesen sei, denke ich, dass er die Wahrheit gesagt hat.

    Olga schien sich nach dem Hochprozentigen wieder etwas beruhigt zu haben. Sie füllte drei Schnapsgläser, schob sie über den Tisch und stellte fest: „Ich würde mir wirklich wünschen, dass der Kunde gelogen hat. Aber, an solchen Gerüchten ist meistens etwas wahr und aus eigener Erfahrung weiß ich nur zu gut, dass es in diesem Gewerbe Geschäftemacher gibt, die vor nichts zurückschrecken."

    Für ein paar Minuten war es still in dem Raum.

    Was den Frauen durch den Kopf ging, konnte Blank selbstverständlich nicht wissen. Zweifellos hatten sie so manche Schweinerei gesehen und womöglich auch erlebt. Einmal mehr bewunderte Blank Olgas Arbeit. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Frauen, die diesem Milieu den Rücken zukehren wollten, zu helfen. Wieso sie sich der Prostitution zugewandt hatten, mochte viele Gründe haben, über die Blank weder Erkenntnisse, noch näher nachgedacht hatte. Eines war aus Olgas Angaben wohl zu entnehmen, die meisten Frauen, die dem ältesten Gewerbe der Welt nachgingen, hatten diesen Weg mehr oder wenig freiwillig betreten. Bei Jugendlichen oder gar Kindern sah das allerdings ganz anders aus.

    Blank konnte sich nicht entscheiden, wen er verabscheuungswürdiger fand. Die Leute, die Minderjährige zur Prostitution zwangen oder die perversen Kunden, die sich auf solche Angebote einließen. Eines stand für Blank nun endgültig fest, wenn diese ungeheuerlichen Gerüchte auch nur teilweise zutreffen sollten, würde er Olga auf jeden Fall unterstützen. Diesem abscheulichen Treiben musste Einhalt geboten werden.

    Wie man das bewerkstelligen sollte, stand jedoch auf einem ganz anderen Blatt, denn allem Anschein nach, geschahen diese Schweinereien in aller Heimlichkeit. Ohne weitere Insiderinformationen konnte der Wahrheitsgehalt dieser Hinweise nicht überprüft werden.

    Blanks detektivisches Interesse war geweckt, und da zwei Fachfrauen am Tisch saßen, könnte er sofort damit beginnen, weitere Informationen zu sammeln.

    Blank beendete das Schweigen und fragte zunächst die Rothaarige: „Hat Ihr Kunde noch irgendwelche Einzelheiten erwähnt?"

    „Ich kann mich nicht so genau erinnern, weil wir gerade bei der Sache waren. Du verstehst schon."

    „Bitte, Florentine. Denken Sie noch mal genau nach. Hat der Mann etwas über das Haus gesagt? Wo es sich genau befindet oder wer die Betreiber sind?", fragte Blank unbeirrt weiter.

    „Mein Gott – das ist schon Wochen her, erwiderte sie und griff nach dem Schnapsglas, „ich möchte lieber mit dir anstoßen. Verrätst du mir deinen Vornamen. Du kannst mich gerne weiter mit meinem Künstlernamen ansprechen, aber eigentlich heiße ich Ann-Kathrin, säuselte sie und mit einem raschen Griff öffnete die Rothaarige mit der anderen Hand die Bluse.

    „Verdammt noch mal!, rief Olga dazwischen, „was denkst du dir eigentlich dabei. Wir waren uns doch darüber einig, dass du alles erzählst, was dir zu Ohren gekommen ist. Tobias ist bestimmt nicht hier, um deine Möpse anzugaffen.

    „Was für ein schöner Name", seufzte die Rothaarige.

    Ohne Olgas Kritik zu beachten, ließ Florentine die Bluse vollends über den Rücken gleiten und fragte lüstern: „Gefallen sie dir?"

    „Schluss jetzt!, griff Olga erneut ein, „ich kann ja verstehen, dass dir der junge Mann gefällt. Aber, du solltest nicht vergessen, warum er hier ist. Wenn du nichts Wichtiges mehr zu sagen hast, dann kannst du deine Dinger wieder einpacken und gehen.

    „Schade, sonst ist Olga eigentlich nicht so, solltest du wissen. Aber, wenn du es auch möchtest, dann ziehe ich mich zurück", entgegnete Florentine und zwinkerte Blank zu.

    „Ich finde es nicht anstößig, Busen anzusehen, stellte Blank fest, „insbesondere, wenn es sich um solche Prachtexemplare handelt.

    „Da hörst du es, Olga. Tobias ist nicht nur sehr galant, sondern auch ein Kenner. Vielleicht zeigst du ihm auch mal deine, damit er einen Vergleich hat."

    Jetzt schien Blank die Situation doch außer Kontrolle zu geraten.

    Zum Glück sah es die Hausherrin ebenso, denn sie erwiderte: „Das könnte dir so passen. Komm erst mal in meine Jahre, dann will deine Dinger keiner mehr sehen."

    „Entschuldige, ich habe das nicht so gemeint", sagte Florentine sichtlich betroffen.

    „Schon gut, ich bin dir nicht böse. Meinetwegen bleib sitzen, wenn Tobias nichts dagegen hat."

    „Oh, keineswegs, Olga. Ich habe

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