Maigrets Nacht an der Kreuzung
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About this ebook
Maigrets 7. Fall spielt an der Route nationale von Paris nach Étampes.
Georges Simenon
Georges Simenon (Lieja, Bélgica, 1903 – Lausana, Suiza, 1989) escribió ciento noventa y una novelas con su nombre, y un número impreciso de novelas y relatos publicados con pseudónimo, además de libros de memorias y textos dictados. El comisario Maigret es el protagonista de setenta y dos de estas novelas y treinta y un relatos, todos ellos publicados entre 1931 y 1972. Célebre en el mundo entero, reconocido ya como un maestro, hoy nadie duda de que sea uno de los mayores escritores del siglo xx.
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Maigrets Nacht an der Kreuzung - Georges Simenon
Kampa
1
Das schwarze Monokel
Als Maigret mit einem müden Seufzer seinen Stuhl zurückschob und sich vom Schreibtisch erhob, war Carl Andersen seit genau siebzehn Stunden verhört worden.
Durch die gardinenlosen Fenster hatte man zusehen können, wie die Näherinnen und Büroangestellten mittags in die Lokale an der Place Saint-Michel geströmt waren. Dann war es ruhiger geworden. Gegen sechs hatte der Ansturm auf die Metrostationen und Bahnhöfe begonnen, und manch einer war zur nächsten Bar geschlendert, um einen Aperitif zu nehmen.
Die Seine lag in Dunst gehüllt. Ein letzter Schlepper, der drei Lastkähne hinter sich herzog, war mit grünen und roten Lichtern vorübergefahren. Der letzte Autobus. Die letzte Metro. Nachdem alle Reklameschilder hineingetragen waren, schloss das Kino seine Gitter.
Der Ofen in Maigrets Büro schien nun stärker zu bullern. Auf dem Tisch zwei leere Biergläser und Sandwich-Reste.
Man hörte Feuerwehrwagen aufheulen, irgendwo musste ein Brand ausgebrochen sein. Es gab eine Razzia. Um zwei Uhr verließ ein Gefängniswagen das Polizeipräsidium und kehrte später über den Hof des Untersuchungsgefängnisses zurück, wo er seine Beute abgeladen hatte.
Das Verhör dauerte an. Alle ein oder zwei Stunden, je nach Erschöpfung, drückte Maigret auf einen Knopf. Daraufhin erschien Inspektor Lucas, der im Büro nebenan ein Nickerchen gehalten hatte, warf einen Blick auf die Aufzeichnungen des Kommissars und führte das Verhör fort.
Und Maigret streckte sich auf einem Feldbett aus, um Energie zu sammeln für den nächsten Angriff.
Das Polizeipräsidium schien verlassen. Nur im Sittendezernat herrschte noch Leben. Um vier Uhr führte ein Inspektor einen Drogenhändler vor, der sofort vernommen wurde.
Ein milchiger Nebel stieg über der Seine auf und kündigte den Tag an, der sein Licht auf die leeren Quais warf. Schritte hallten in den Fluren. Telefone läuteten. Rufe wurden laut. Türen schlugen. Die Putzfrauen fegten umher.
Maigret legte seine zu heiß gewordene Pfeife auf den Tisch. Er erhob sich und musterte den Verdächtigen von Kopf bis Fuß, missmutig, aber nicht ohne Bewunderung.
Siebzehn Stunden strengstes Verhör. Zuvor hatte man ihm seine Schnürsenkel, seinen abknöpfbaren Kragen, seine Krawatte abgenommen und sämtliche Taschen geleert.
Während der ersten vier Stunden hatte er mitten im Büro stehen müssen und war mit Fragen bombardiert worden.
»Hast du Durst?«
Maigret war bei seinem vierten Glas Bier angelangt. Auf dem Gesicht des Verdächtigen hatte sich ein schwaches Lächeln abgezeichnet. Er hatte gierig getrunken.
»Hast du Hunger?«
Man hatte ihn aufgefordert, sich zu setzen, sich zu erheben. Sieben Stunden lang hatte er nichts gegessen, und als er schließlich ein Sandwich hinunterschlang, hatte man ihm von Neuem zugesetzt.
Sie waren zu zweit gewesen, hatten sich abwechseln und ausruhen können, sich der zersetzenden Monotonie des Verhörs entziehen. Und doch hatten sie das Handtuch geworfen. Maigret zuckte mit den Schultern, nahm eine neue Pfeife aus der Schublade und wischte sich über die feuchte Stirn.
Was ihm vielleicht am meisten an dem Mann imponierte, war nicht dessen physische und geistige Widerstandskraft, sondern die vornehme Eleganz, die er sich bis zum Schluss bewahrte.
Ein Mann von Welt, dem man die Krawatte abgenommen hat, der eine Stunde lang völlig nackt mit hundert Halunken beim Erkennungsdienst fotografiert und vermessen wird, den man nicht gerade sanft behandelt, der die groben Scherze seiner Leidensgenossen erdulden muss, behält selten jene Selbstgewissheit, die seine Persönlichkeit für gewöhnlich auszeichnet.
Und es grenzt an ein Wunder, wenn sich ein solcher Mann nach einem mehrstündigen Verhör noch von dem erstbesten Herumtreiber unterscheidet.
Carl Andersen war geblieben, wer er war. Trotz seines zerknitterten Anzugs strahlte er eine aristokratische Eleganz aus, der ein Kriminalbeamter nur selten ansichtig wurde, verhalten und ein wenig steif, auch ein wenig dünkelhaft, eine Eleganz, der man vor allem in diplomatischen Kreisen begegnet.
Er war größer als Maigret, breitschultrig, aber schlank und schmal in den Hüften. Sein längliches Gesicht war blass, und die Lippen hatten an Farbe verloren.
Er trug ein schwarzes Monokel auf dem linken Auge.
»Nehmen Sie es ab«, hatte man ihm befohlen.
Mit dem Anflug eines Lächelns hatte er gehorcht und ein unangenehm starres Glasauge zum Vorschein gebracht.
»Ein Unfall?«
»Ja, als Flieger …«
»Sie waren also im Krieg?«
»Ich bin Däne. Ich musste nicht in den Krieg, Aber ich hatte ein eigenes Sportflugzeug …«
Dieses künstliche Auge wirkte in dem jungen, ebenmäßigen Gesicht so unheimlich, dass Maigret gemurmelt hatte:
»Sie können Ihr Monokel wieder einsetzen.«
Andersen hatte sich nicht ein einziges Mal beschwert. Ob man ihn nun stundenlang stehen ließ oder vergaß, ihm etwas zu trinken und zu essen zu geben. Von seinem Platz aus konnte er den Verkehr beobachten, die Straßenbahnen und Autobusse, die über die Brücke fuhren, gegen Abend einen rötlichen Sonnenstrahl und jetzt, an einem klaren Aprilmorgen, die erwachende Stadt.
Er hielt sich immer noch aufrecht, blieb gefasst. Das einzige Anzeichen von Erschöpfung war der winzige Schatten unter seinem rechten Auge.
»Bleiben Sie bei Ihrer Aussage?«
»Ja.«
»Sind Sie sich im Klaren darüber, dass sie wenig glaubhaft klingt?«
»Ja. Aber ich kann nicht lügen.«
»Hoffen Sie, mangels Beweisen freigelassen zu werden?«
»Ich hoffe nichts.«
Die Müdigkeit verstärkte seinen kaum wahrnehmbaren Akzent.
»Soll ich Ihnen das Protokoll noch einmal vorlesen, ehe Sie’s unterschreiben?«
Die vage Geste eines Mannes von Welt, der eine Tasse Tee ablehnt.
»Ich werde die Kernpunkte noch einmal zusammenfassen. Sie sind mit Ihrer Schwester Else vor drei Jahren nach Frankreich gekommen. Sie haben einen Monat in Paris gelebt. Dann haben Sie ein Landhaus an der Hauptstraße nach Étampes, drei Kilometer hinter Arpajon, an der sogenannten Kreuzung der Drei Witwen gemietet.«
Carl Andersen nickte.
»Seit drei Jahren leben Sie dort so zurückgezogen, dass die Leute Ihre Schwester gerade fünfmal gesehen haben. Sie pflegen keinerlei Umgang mit Ihren Nachbarn. Sie haben sich einen 5CV, ein altes Modell, gekauft, mit dem Sie zum Markt in Arpajon fahren. Einmal im Monat kommen Sie mit diesem Wagen nach Paris.«
»Ja, das stimmt. Um meine Arbeiten bei der Firma Dumas et Fils in der Rue du Quatre-Septembre abzuliefern.«
»Ihre Arbeiten sind Entwürfe für Bezugsstoffe. Für jeden Entwurf bekommen Sie fünfhundert Franc. Im Monat fertigen Sie durchschnittlich vier an, macht also zweitausend Franc …«
Wieder ein Nicken.
»Sie haben keine Freunde. Ihre Schwester hat keine Freundinnen. Am Samstagabend sind Sie wie gewöhnlich um zehn Uhr schlafen gegangen, und wie gewöhnlich haben Sie Ihre Schwester in ihrem Zimmer, das neben Ihrem liegt, eingeschlossen. Sie begründen das mit der Behauptung, sie sei sehr furchtsam … aber fahren wir fort. Am Sonntag um sieben Uhr morgens geht Monsieur Émile Michonnet, ein Versicherungsagent, der in einem Landhaus hundert Meter entfernt wohnt, in seine Garage und sieht, dass sein Wagen, ein neuer Sechszylinder, verschwunden ist und an seiner Stelle Ihr alter Klapperkasten steht …«
Andersen verzog keine Miene, griff unwillkürlich in seine leere Tasche, in der gewiss sonst Zigaretten waren.
»Monsieur Michonnet, der seit Tagen von nichts anderem als seinem neuen Auto gesprochen hat, glaubt an einen schlechten Scherz. Er geht zu Ihrem Haus, findet das Tor verschlossen und läutet vergeblich. Eine halbe Stunde später berichtet er der Gendarmerie von seinem Missgeschick, und ein Gendarm macht sich daraufhin sofort zu Ihrem Haus auf. Man findet dort weder Sie noch Ihre Schwester vor, dagegen in der Garage Monsieur Michonnets Wagen und auf dem Vordersitz, über das Steuerrad gebeugt, einen toten Mann, getötet durch einen gezielten Schuss aus nächster Nähe in die Brust … Seine Papiere hat man ihm nicht gestohlen. Er heißt Isaac Goldberg, Diamantenhändler in Antwerpen.«
Während Maigret sprach, legte er Kohle nach.
»Die Gendarmerie setzt sich sofort mit dem Bahnhof von Arpajon in Verbindung und erfährt, dass Sie mit Ihrer Schwester den ersten Zug nach Paris genommen haben. An der Gare d’Orsay werden Sie beide verhaftet … Und leugnen alles.«
»Ich leugne, wen auch immer getötet zu haben.«
»Leugnen Sie auch, Isaac Goldberg zu kennen?«
»Ich habe ihn zum ersten Mal tot gesehen, in meiner eigenen Garage, am Steuer eines Wagens, der mir nicht gehört.«
»Und anstatt die Polizei zu rufen, sind Sie mit Ihrer Schwester geflüchtet …«
»Ich hatte Angst.«
»Haben Sie nichts hinzuzufügen?«
»Nichts.«
»Und Sie bleiben dabei, dass Sie in der Nacht von Samstag auf Sonntag nichts gehört haben?«
»Ich habe einen sehr tiefen Schlaf.«
Zum fünfzigsten Mal wiederholte Maigret exakt dieselben Sätze. Er war am Ende seiner Kräfte und drückte den Klingelknopf. Kurz darauf erschien Inspektor Lucas.
»Ich bin gleich zurück.«
Die Unterhaltung mit Untersuchungsrichter Coméliau, der mit dem Fall befasst war, dauerte eine Viertelstunde. Der Richter gab die Partie von vornherein verloren.
»Ich sage Ihnen, Maigret, das ist einer dieser Fälle, die nie aufgelöst werden und zum Glück nur alle zehn Jahre vorkommen. Und es fällt auf mich zurück! Die Details fügen sich nicht zusammen … Warum werden die Autos vertauscht? Und warum benutzt Andersen zur Flucht nicht das in seiner Garage, anstatt zu Fuß nach Arpajon zu gehen und dort in den Zug zu steigen? Was hatte dieser Diamantenhändler an der Kreuzung der Drei Witwen zu suchen? … Glauben Sie mir, Maigret, für Sie wie für mich ist das der Anfang einer ganzen Reihe von Unannehmlichkeiten. Lassen Sie ihn frei, wenn Sie wollen. Vielleicht vermuten Sie zu Recht, dass man nichts mehr aus ihm rausbekommen wird, nachdem er ganze siebzehn Stunden lang durchgehalten hat.«
Die Augenlider des Kommissars waren vor Übermüdung gerötet.
»Haben Sie die Schwester gesehen?«
»Nein. Sie hatten das Mädchen schon nach Hause gebracht, als man mir Andersen vorführte. Die Gendarmerie wollte sie vor Ort vernehmen. Sie steht unter Aufsicht.«
Sie gaben sich die Hand. Maigret ging zurück in sein Büro, wo Lucas den Verdächtigen träge beobachtete. Andersen lehnte mit der Stirn gegen die Scheibe und wartete geduldig.
»Sie sind frei«, sagte der Kommissar, als er eintrat.
Andersen zeigte keine Regung, deutete aber auf seinen nackten Hals und die offenen Schuhe.
»Man wird Ihnen Ihre Sachen in der Kanzlei zurückgeben. Sie halten sich selbstverständlich zu unserer Verfügung. Bei dem geringsten Fluchtversuch landen Sie in