FM4 Wortlaut 16. FALLEN
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About this ebook
Die urteilenden Fallenstellerinnen und Gefallenen: Marcus Fischer (Wortlaut-Gewinner 2015), Hans Platzgumer (Autor und Musiker), Teresa Präauer (Autorin und Künstlerin), Monique Schwitter (Autorin), Andreas Spechtl (Musiker).
Mit Texten von:
Klaus Berger-Schwab
Fabian Bürkin
Elisabeth Etz
David Fuchs
David Hassbach
Dietmar Nemeth
Henrik Pohl
Noemi Schneider
Andrea Wulfert
Mario Wurmitzer
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Book preview
FM4 Wortlaut 16. FALLEN - Klaus Burger-Schwab
Czesch
Fallen – viel Gefallen
Da sind Leute auf mich zugekommen, die gesagt haben: „Du hast doch den Wortlaut gewonnen."
Und ich hab gesagt: „Ja, ich hab einen Kurzgeschichtenwettbewerb gewonnen."
Aber ich hab nicht gewusst, dass der für viele Leute so ein Gewicht hat und wirklich so bekannt ist. Das war wirklich erstaunlich.
Marcus Fischer, der Vorjahresgewinner von Wortlaut und heuer auch Juror, hat uns mit dieser Aussage doch etwas verlegen gemacht. Gleichzeitig aber auch stolz genug, dass wir damit hier ein bisschen angeben …
Der Wortlaut also.
Und genau der Wortlaut, der FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb, stand heuer unter dem Thema „FALLEN". Groß-oder Kleinschreibung haben wir bewusst offen gelassen – den FM4-Hörerinnen und -Hörern würde schon was einfallen. Die Herangehensweise der fast 800 eingeschickten Texte war ebenso unterschiedlich wie überraschend.
An der Stelle auch herzlichen Dank an alle AutorInnen!
Zigmal wurden alle Kurzgeschichten gelesen, mit Kommentaren versehen und weitergereicht. Bis die redaktionelle Vorjury (die FM4-RedakteurInnen Zita Bereuter, Jenny Blochberger, Claudia Czesch, Daniel Grabner, Barbara Köppel, Conny Lee, Maria Motter, Martin Pieper, Simon Welebil und Irmgard Wutscher sowie Jürgen Lagger vom Luftschacht Verlag) an einem heißen Sommertag ebensolche Diskussionen führte, um sich schließlich auf zwanzig Texte zu einigen.
Diese wiederum sorgten einige Wochen später bei der Hauptjury für Gesprächsstoff.
Marcus Fischer (Wortlautgewinner 2015), Hans Platzgumer (Autor und Musiker), Teresa Präauer (Autorin und Künstlerin), Monique Schwitter (Autorin) und Andreas Spechtl (Musiker) hatten durchaus unterschiedliche Meinungen, konnten diese aber klar und kompetent begründen. Das hier vorliegende Ergebnis der besten zehn Texte ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern zeigt vielmehr die unterschiedliche Begeisterung der Jury. Auf die ersten drei Plätze konnte sie sich sehr schnell einigen.
Fingerfallen wurde als „sehr schöne und sich langsam entwickelnde Liebesgeschichte bezeichnet, „beeindruckend und auch sehr berührend
und dennoch „konzentriert in „einer unglaublich konzisen, einer knappen Sprache
, bei der nur „die Quintessenz übrig bleibt. „Ein Kondensat von wirklich ein paar sehr starken kleinen Anekdoten und Bildern, die zu einer ganz großen Lebens- und Liebesgeschichte werden.
Allen zehn hier vertretenen Autorinnen und Autoren gratulieren wir herzlich!
Manche haben schon mehrfach bei Wortlaut teilgenommen.
Und andere haben bei Wortlaut ihre ersten Schreibversuche gewagt und gehen jetzt lässig auf dem glatten Parkett des Literaturbetriebs auf die roten Teppiche zu. Etwa Anna Weidenholzer, die heuer auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis steht. Gemeinsam übrigens mit Wortlautjuror Hans Platzgumer.
Auf dass auch die hier vertretenen Autorinnen und Autoren auf ihrem Weg nicht fallen, sondern vielmehr auffallen!
Zita Bereuter und Claudia Czesch
Hineinfallen
Vielleicht lag es am schön doppeldeutigen Thema „Fallen", dass so viele literarisch geneigte FM4-Hörer und -Hörerinnen das Bedürfnis verspürten, einen Text zu verfassen und einzuschicken. Jedenfalls fielen die Beiträge förmlich über die FM4-Literaturabteilung her, in allen Farben fielen sie wie Blätter vom Himmel, als wäre in diesem Jahr der Herbst schon im Mai angebrochen. Manche gingen genau auf das Thema ein, andere sehr frei damit um, manche trugen das Fallen bereits im Titel, andere stellten uns Fallen und ließen uns bis zum Schluss darüber grübeln. Eine kunterbunte Mischung an Kurzgeschichten (die es als Gattung in der deutschsprachigen Literatur eigentlich kaum gibt) oder, je nach Definition, eher Erzählungen, war es, die einen Querschnitt durch die junge, deutschsprachige/österreichische Literatur versprach. Auch wenn es weder eine Altersbegrenzung nach oben noch nach unten gab und offensichtlich Teenager wie Enddreißiger ihr Glück versuchten, entsprach die Altersgruppe im Groben der Zielgruppe des Radiosenders. Die Texte wurden uns vollkommen anonym vorgelegt, dennoch meinte man, unterschiedliche Reifegrade in ihnen zu erkennen, die mit Alter oder Lebenserfahrung zu tun haben mochten – und man täuschte sich im einen oder anderen Fall! Wir versuchten, uns nicht davon beeinflussen zu lassen, und gaben unser Bestes, von Klischees oder Vorurteilen befreit, die Texte rein als solche zu lesen, die sie inhaltlich und sprachlich waren.
Die Einreichungen und unsere Meinungen darüber waren schließlich so vielseitig, dass wir nicht entschieden, den Weg des kleinsten gemeinsamen Nenners zu suchen, sondern die Arbeiten nach ihrer Wucht, ihrer Schlagkraft, nach ihrem Mut zu werten. Literatur muss ja immer etwas Existenzialistisches bewahren. Beim Schreiben geht es um Leben oder Tod. Wir wollten nicht brave, ordentliche Schulaufsätze nach braven, ordentlichen Kriterienmustern benoten, sondern uns von ihnen ein Bein stellen lassen und auf die Schnauze fallen. Wir wollten sehen, ob der jeweilige Autor, die Autorin etwas zu sagen hatte und dies so dringlich tun musste, dass er/sie auf wenigen Seiten, mit keinem Werkzeug außer der Sprache ausgestattet, es schaffte, eine Fallgrube auszuheben, in die wir Jurymitglieder, eines nach dem anderen, hinabstürzten. Für das englische Falling in love gibt es keine ähnlich bildliche deutsche Übersetzung, aber genau dies und nicht weniger erwarteten wir von den uns vorgelegten Texten. Wir wählten unsere Favoriten nach der Fallhöhe, der sie sich selbst aussetzten, und der Tiefe, in die sie uns leiteten. Jedes einzelne Fallbeispiel der nun vorliegenden Anthologie hat zumindest für einige Jurymitglieder diese Kriterien bestens erfüllt. Die hier ausgewählten zehn Gewinnertexte haben uns polarisiert, haben in unsere Herzen getroffen, leidenschaftlich haben wir für oder gegen sie gekämpft. Dieses Buch bietet keine Kompromissauswahl, sondern jene der stärksten Ausschläge. Beurteilung von künstlerischem Schaffen ist notgedrungen immer mit persönlichem Geschmack behaftet, die zehn hier präsentierten Texte aber haben sich unser aller Respekt verdient. Lassen Sie sich in sie hineinfallen. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen dabei.
Hans Platzgumer
Hans Platzgumer, geb. 1969 in Innsbruck, lebt in Lochau. Er studierte an der Musikhochschule in Wien, absolvierte ein Filmmusik-Studium in Los Angeles und veröffentlicht in unterschiedlichen Formationen elektronische Musik. Er ist an über 60 Musikalben beteiligt und im Besitz einer goldenen Schallplatte. Er schreibt Romane, Hörspiele, Opern, Theatermusik und Essays. Mit seinem Roman Am Rand ist er auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2016.
Fingerfallen
David Fuchs
Foto: Daniela Fuchs
geb. 1981 in Linz, Medizinstudium in Wien. Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin in Linz, wo er als Onkologe und Palliativmediziner arbeitet. Verheiratet, zwei Kinder.
Absolvent der Leondinger Akademie für Literatur 2015/16, Arbeitsstipendium des Landes OÖ 2016. Arbeitet an seinem ersten Roman mit den Fingerfallen als Keimzelle.
www.davidfuchs.at
1
Ambros Wegener heißt wie eine Krankheit. Das kann man im Lexikon nachschlagen, Gefäßentzündung mit Knötchenbildung. Obwohl die Krankheit eigentlich nicht mehr so heißt, seit man weiß, dass Wegener, also der, nach dem die Krankheit benannt ist, ein Nazi war.
Ambros Wegener ist nicht krank, auch kein Nazi, sondern mein Sitznachbar in der Schule und geht jetzt direkt vor mir die Treppe hoch.
Wegen der Aussicht, hat der Klassenvorstand gesagt, wegen der Aussicht sollen wir hinaufgehen, und ich habe mir gedacht, nie im Leben gehe ich auf den Petersdom rauf. Aber dann ist Ambros gegangen und ich auch.
Das Treppenhaus ist eng und so schief, dass ich den Oberkörper schräg halten muss, um weiterzukommen. Wenn man die Ellenbogen ausstreckt, scheuert man links und rechts an den gefliesten Wänden. Ambros schaut zurück und sagt, Marius, beeil dich. Seit zwei Tagen nennt er mich Marius. Wahrscheinlich, weil es lateinisch klingt.
Ich heiße Benjamin Marius Maier. Marius benutze ich nicht. Das klingt, als hätten meine Eltern mich eigentlich Maria nennen wollen, aber nicht den Mut dazu gehabt. Und Benjamin, nicht Ben. Ben klingt wie steifer Schwanz.
Ich habe noch nie eine so enge Wendeltreppe gesehen. Beim Hinaufgehen kann man sich mit den Händen ein paar Stufen weiter oben abstützen, wie beim Bergsteigen. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn jemand hier drin eine Panikattacke bekäme. Zum Glück ist Ambros relativ robust und ich habe vorhin heimlich ein Bier getrunken.
Die Wendeltreppe ist zu Ende, noch ein enges Stiegenhaus. Dann treten wir auf die Aussichtsplattform hinaus. Ich schaue auf die Stadt und stelle mir vor: fliegen. Ambros, sage ich, kannst du mir eine schnorren? Er klemmt seine Zigarette in den Mundwinkel. Selbst gedreht. Er holt den Tabak raus, die Papers, den Filter. Er hat eine kleine Maschine zum Selberdrehen, stellt sie auf dem Steingeländer ab. Aber mit einer Maschine geht das Coole am Selberdrehen verloren. Schön werden sie schon, die Zigaretten. Da bitte, sagt er und ich sage, danke, hast du mal Feuer?
Die Mädels wollen wieder runter. Zu kalt ist es und langweilig. Außerdem wollen sie auf einen Kaffee gehen und, wenn möglich, vorher den Papst sehen. Der Klassenvorstand geht mit. Wir sollen nachkommen, in zehn Minuten. So lange wollen sie warten, ob der Papst aus einem Fenster winkt.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Papst aus einem Fenster winkt. Wahrscheinlich ist er nicht einmal da, sondern auf Auslandsreise. Und falls