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Manuel Neuer
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Manuel Neuer

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Deutschland hat viele große Torhüter hervorgebracht. Doch seit Langem hat kein Schlussmann die Position so sehr geprägt wie Manuel Neuer.

Seine Ausflüge bis weit aus dem Strafraum hinaus sind legendär, vor allem bei der Weltmeisterschaft 2014 gab er dem deutschen Team dadurch einen enormen Rückhalt. Als derzeit weltbester Torwart kann der gebürtige Gelsenkirchener eine beachtliche Trophäensammlung vorweisen: Neben dem Triple 2013 mit den Bayern und dem WM-Titel 2014 stand Neuer beim bislang letzten Titelgewinn seines Heimatvereins FC Schalke 04, beim DFB-Pokalsieg 2011, zwischen den Pfosten. Und ein Ende der Neuer schen Erfolgswelle ist längst nicht in Sicht.
LanguageDeutsch
PublisherCBX Verlag
Release dateJul 31, 2015
ISBN9783945794715

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    Manuel Neuer - Alexander Kords

    1. Aufgewachsen in

    einer Fußballstadt

    Auch wenn der seit Jahrzehnten erfolgreichste Fußballverein Deutschlands im Süden der Republik beheimatet ist, schlägt das Herz der beliebtesten Sportart der Deutschen dennoch im Ruhrgebiet. Ein gutes halbes Dutzend Clubs aus der Metropolregion Rhein-Ruhr spielte oder spielt noch immer in der Bundesliga, viele weitere blicken auf eine viele Jahrzehnte andauernde Tradition und auf die Zugehörigkeit zu hohen Ligen zurück. Drei Vereine aus Deutschlands größtem Ballungsgebiet konnten noch dazu mindestens ein Mal in ihrer Geschichte die Deutsche Meisterschaft erringen. Neben Borussia Dortmund und Rot-Weiß Essen ist dies der FC Schalke 04, der sich nach dem Stadtteil in Gelsenkirchen benannt hat, in dem er im Mai des Jahres 1904 gegründet wurde. Knapp 82 Jahre später, am 27. März 1986, kam in Buer, einem weiteren Stadtteil Gelsenkirchens, ein Junge zur Welt, der dem Club von frühester Kindheit an verbunden sein sollte. Manuel Neuer hieß der Kleine, sein zweiter Vorname Peter entsprach dem ersten seines Vaters. Der stammte aus Allmendigen, einer Gemeinde in Baden-Württemberg, rund 25 Kilometer von Ulm entfernt. Dort führte Peter Neuers Vater, Manuels Großvater, einst ein Friseurgeschäft, das Peter einmal übernehmen sollte. Weil der aber seine Zukunft nicht darin sah, Haare zu schneiden, zog er mit seiner Frau Marina, einer Fremdsprachenkorrespondentin, nach Gelsenkirchen. Dort bekam das Paar zwei Söhne: Ende 1984 Marcel und im März 1986 Manuel. Peter Neuer wurde Polizist und schloss sich der Stadionwache an, die für Sicherheit im Gelsenkirchener Parkstadion sorgte – der Heimstätte von Schalke 04.

    Schon mit zwei Jahren bekam Manuel Neuer seinen ersten Fußball geschenkt und war fortan nicht mehr davon zu trennen. Im Garten der Familie spielte er, auf der Straße, allein, gegen seinen Bruder oder gegen Freunde. Im März 1991, kurz vor seinem fünften Geburtstag, trat er dem FC Schalke 04 bei – obwohl ihn seine Eltern lieber bei einem kleineren Verein gesehen hätten. „Sie wollten mich zum SSV Buer oder zum SC Hassel schicken, erzählte Neuer rückblickend in einem Interview mit dem DFB. „Sie haben mich zwar für verrückt erklärt, als ich gesagt habe, dass ich nach Schalke will, aber ich habe mich durchgesetzt. Seine Eltern fuhren ihn zur Glückauf-Kampfbahn, dem legendären ehemaligen Heimstadion der Schalker, wo er zu seinem Probetraining antrat. Weil kein Torhüter anwesend war und keiner der anderen Knirpse ins Tor gehen und sich immerzu in den Schlamm werfen wollte, musste eben der Neue: Manuel. Er wurde von den Königsblauen angenommen, und obwohl er durchaus auch die technischen Fähigkeiten hatte, im Feld mitzuspielen, beließ ihn sein erster Trainer – „Herr Bösdorfer. Richtige Erinnerungen an ihn habe ich nicht mehr" – im Tor.¹ An seinem ersten sportlichen Wettbewerb nahm der kleine Manuel schon im März 1991 teil. Mit seiner Schalker Kindermannschaft trat er in Westerholt im Norden des Ruhrgebiets zu einem Bambini-Turnier an. Auf einem Video dieser Veranstaltung ist zu sehen, wie sich die Mannschaft vor einer Partie versammelte und von ihrem Trainer eingeschworen wurde. Torwart Manuel trug dabei einen Teddybär unter dem Arm, der beinahe so groß war wie er selbst und vor Spielbeginn hinter ihm im Tor Platz nahm. Nach einem Gegentreffer musste Manuel getröstet werden und verließ frustriert seinen Kasten, kehrte kurz darauf aber wieder zurück, um sein Plüschtier zu holen. „Damals kam ich mit Gegentoren noch überhaupt nicht klar, ich musste immer mit den Tränen kämpfen, sagte er später. „Mein Vater stand damals immer hinter dem Tor und hat gesagt, dass ich mich zusammenreißen soll.² Doch Rückschläge verdarben dem Nachwuchskicker nicht den Spaß am Spiel. Im Gegenteil: Auch nachdem er eingeschult worden war, blieb der Fußball im Mittelpunkt von Manuels Leben. Wenn er am Nachmittag mal nicht bei Schalke trainierte, spielte er auf dem Ascheplatz der Fachhochschule Gelsenkirchen gegen Freunde oder im heimischen Garten mit seinem Bruder. Der erinnerte sich viele Jahre später an die Duelle mit Manuel. „Mit viel Einsatz und meiner damaligen körperlichen Überlegenheit habe ich seine technischen Vorteile wettzumachen versucht, oftmals leider vergeblich, so Marcel Neuer. Selbst das Wohnzimmer der Familie war vor den Brüdern nicht sicher, allerdings gaben sie dort dem Tennisball als Spielgerät den Vorzug. „Erstaunlich wenig ging dabei zu Bruch, meinte Marcel Neuer rückblickend. „Möglichweise war das schon Manuels außergewöhnlichem Talent als Torhüter geschuldet, aber, wenn ich ehrlich bin, mir ist dieses erst viel später aufgefallen."³ Mit den kleinen gelben Bällen kannte sich Manuel auch sonst recht gut aus, spielte er doch neben Fußball auch im Verein Tennis. Seine Begeisterung für Sport war auch erblich bedingt, schließlich hatte sein Vater eine Zeitlang Handball gespielt.

    Selbstverständlich war es auch Peter Neuer, der Manuel Anfang der 1990er-Jahre zu dessen erstem Bundesligaspiel ins Parkstadion mitnahm. Dort hatte die Polizei eine eigene Kabine unter dem Dach, von der aus sie die Zuschauer im Blick behalten konnte. Und von dort aus sah Manuel die Partie: ein Freitagsspiel gegen die SG Wattenscheid 09. Nicht nur wurde der Junge von der Stimmung im Stadion gepackt, er entdeckte auch seine Zuneigung für einen Spieler, den er später als sein Vorbild bezeichnen sollte: Jens Lehmann. Der war 1987 als 17-Jähriger in Schalkes Jugend gewechselt und hatte nur ein Jahr später den Sprung in die Profimannschaft geschafft. Mit Lehmann als Stammtorwart gelang dem Club, der sich zu dieser Zeit in der Zweiten Bundesliga befand, der Aufstieg ins Oberhaus. Auch als Lehmann den Verein im Sommer 1998 verlassen und zum AC Mailand wechseln sollte, blieb er Neuers Idol. Und selbst als Lehmann nach nur einem halben Jahr in Italien zu Schalkes Erzrivalen Borussia Dortmund ging, ließ Neuers Bewunderung nicht nach. Noch immer war Jens Lehmann für ihn der „beste Torwart der Welt".

    Auch Manuels Bruder Marcel spielte ganz passabel Fußball. Seinen Stammplatz hatte der ältere Neuer in der Verteidigung, wo er seinem kleinen Bruder helfen konnte, wenn dieser die Unterstützung überhaupt benötigte. Das defensive Neuer-Duo konnte sogar gemeinsam einen Titel gewinnen – wenn auch keinen allzu prestigeträchtigen. Zwischen 1997 und 2000 verbrachten die Brüder ihre Sommer regelmäßig ohne Eltern auf der niederländischen Insel Ameland, wohin sie mit ihrer Kirchengemeinde St. Urbanus zur Ferienfreizeit fuhren. Und auch dort verbrachte Manuel jede freie Minute auf der Fußballwiese. Das Highlight für den passionierten Jungkicker war dementsprechend der Insel-Cup, der jedes Jahr zum Abschluss des Urlaubs veranstaltet wurde. Und aus einer Auflage des Turniers ging das Team der Neuer-Brüder siegreich hervor. „Für uns war das eine große Sache, so Marcel Neuer in der Rückschau. „Das Siegerfoto habe ich heute noch zu Hause, auf dem die Mannschaft in der Reihe steht und ich den Ball in meiner Hand halte. Auch später amüsierten sich die Neuers gelegentlich darüber, dass dies Marcels „einziger Ballkontakt des ganzen Turniers" war.

    Zu Hause in Gelsenkirchen besuchten beide Brüder regelmäßig die Spiele des FC Schalke im Parkstadion – selten allerdings zusammen. Während nämlich Marcel, der früh sein Interesse für die Tätigkeit als Schiedsrichter entdeckte, mit seinen Kollegen in den Zuschauerrängen stand, ging Manuel mit seinen Kumpels und machte auf der Nordtribüne Stimmung. Außerdem schloss er sich dem Fanclub „Buerschenschaft" an – ein Wortspiel mit dem Stadtteil Buer, aus dem die Mitglieder der Vereinigung stammten. Im Stadion war Manuel immer schon lange vor dem Anpfiff vorzufinden, da er dabei zuschauen wollte, wie sich seine Helden – allen voran Jens Lehmann – auf dem Rasen warm machten. Zuweilen wurde Manuel vom Verein als Balljunge zugeteilt und durfte seinem Idol das Spielgerät zuwerfen. Auch die ersten Einsätze des Nachwuchsspielers auf dem Grün des Parkstadions ließen nicht lange auf sich warten, schließlich bestritten die Jugendmannschaften der Schalker manchmal ihre Partien als Vorprogramm der Bundesligaspiele.

    Ab Sommer 2000, mit 14 Jahren, richtete Manuel Neuer auch sein schulisches Leben nach dem Fußball aus. Er wechselte nämlich auf die Gesamtschule Berger Feld, die sich gleich neben dem Vereinsgelände von Schalke 04 befindet. Erst fünf Jahre zuvor war die Schule eine dauerhafte Kooperation mit dem Club eingegangen, für die ihr der Deutsche Fußball-Bund im Jahr 2007 das Prädikat „Eliteschule des Fußballs verleihen sollte. Just in dem Sommer, in dem Manuel die Gesamtschule Berger Feld zu besuchen begann, startete das Projekt „Fußballschule AufSchalke. Die Schüler, die für das Programm ausgewählt wurden, besuchten die gleiche Klasse wie die „Nicht-Kicker, begaben sich allerdings vier Mal pro Woche während der Unterrichtszeit zum Training nach nebenan. Dort, auf dem Trainingsgelände der Königsblauen, war in den vorangegangenen Monaten mit der „Arena AufSchalke die neue Heimstätte des Clubs gebaut worden, die zum Sehnsuchtsort der Fußball-Schüler wurde. Weit mehr als 150 junge Männer und Frauen haben bis zum Sommer 2015 das Programm durchlaufen, mehr als 40 von ihnen haben im Anschluss daran eine Laufbahn als Fußballprofi eingeschlagen. Zu den Absolventen gehörten etwa Benedikt Höwedes, Julian Draxler, Sebastian Boenisch und Joel Matip, die später alle in den Nationalmannschaften ihrer Herkunftsländer spielten. In die gleiche Klasse wie Manuel Neuer gingen auch Tim Hoogland, Christian Pander und Mesut Özil, die alle den Sprung zu den Profis sowie mindestens in die Jugendauswahl-Mannschaften des DFB schafften. Pander absolvierte sogar zwei A-Länderspiele, und Özil, der erst fünf Jahre nach seinem Eintritt in die Gesamtschule Berger Feld von Rot-Weiß Essen zu den Knappen wechselte, war bekanntlich eine noch größere Karriere vergönnt. Dass sich so viel geballtes Fußballtalent innerhalb eines Jahrgangs in Form von Titeln auszahlen musste, war zu erwarten, und so gewann die Berger Felder Mannschaft im Jahr 2001, also gleich in Manuels erstem Jahr an der Schule, das Bundesfinale des Wettbewerbs „Jugend trainiert für Olympia" gegen die Berliner Poelchau-Oberschule. Zum Helden des Endspiels wurde Torwart Manuel, der im Elfmeterschießen drei Schüsse parierte.

    Um sich ganz auf Fußball und Schule konzentrieren zu können, hörte Manuel gleich nach seiner Aufnahme in der „Fußballschule AufSchalke" mit dem Tennis auf. Das gleichzeitige Betreiben beider Sportarten hatte ohnehin bereits zu Zeitproblemen geführt, nicht selten musste Manuel nach Schule und Fußballtraining noch auf dem Tennisplatz stehen. Auch wenn er am Wochenende in Wettbewerbsspielen antrat, machte er sich nach dem Fußballmatch auf den Weg zu seinem Tennis-Team, wobei er nicht selten die Einzel verpasste und erst im Doppel einsteigen konnte. Die Entscheidung, mit einer seiner beiden Sportarten aufzuhören, trafen Manuels Eltern für ihn, da sie sich Sorgen um seine schulischen Leistungen machten. Dennoch spielte er weiterhin Tennis, wenn auch lediglich als Hobby.

    Bis auf mittwochs sah der typische Schultag von Manuel Neuer vier Jahre lang wie folgt aus: Um sieben Uhr fuhr sein Bus zur Schule, wo er zunächst zwei Stunden Unterricht hatte. Während der dritten und der vierten Stunde fand das Fußballtraining statt, danach ging der Unterricht – abzüglich der Mittagspause – noch bis zwanzig vor vier. Bis er um halb fünf zum Torwarttraining musste, bekam Manuel von einem Nachhilfelehrer Unterstützung bei den Hausaufgaben und holte den Lernstoff nach, den er während seiner Lektionen auf dem Rasen verpasst hatte. Zwischen 17:30 und 19:15 Uhr trainierte er mit seiner Schalker Jugendmannschaft, danach dauerte es bis halb neun, bis er wieder zu Hause ankam. Ab und an veranstaltete der Verein Lehrgänge, für die die Schule ihren Kicker-Schülern frei gab. Für Freundschaften blieb da keine Zeit, Manuels einzige gleichaltrige Bezugsperson außerhalb des Fußballs war lange sein Bruder Marcel. Dazu kam, dass es Manuel und die anderen künftigen Elite-Kicker bei ihren nicht-fußballspielenden Mitschülern nicht gerade leicht hatten. Schließlich hatten die einen die anderen im Verdacht, Sonderrechte zu genießen, was das Verhältnis der beiden Lager nachhaltig spaltete.

    Außerdem war Manuel in der Schule nicht sonderlich auffällig – was unter anderem auch daran lag, dass er eher klein war für sein Alter. Im Gegensatz zu einigen seiner Klassenkameraden neigte er nicht dazu, Streiche auszuhecken, stattdessen konzentrierte er sich schon als Jugendlicher stets auf seine Aufgaben. Das war auch nötig, schließlich musste Manuel in der Schule hart für seine Noten kämpfen. Sein Lieblingsfach – wen wundert’s? – war Sport, wohingegen ihm beispielsweise der Kunstunterricht nicht unbedingt zusagte. Dafür erledigte gerne mal sein Bruder für ihn die Hausaufgaben und malte ein Bild, für das Manuel dann eine gute Zensur bekam. Im Wesentlichen war es jedoch seinem Fleiß und seiner harten Arbeit zu verdanken, dass Manuel im Sommer 2006 die Gesamtschule Berger Land mit der Fachhochschulreife verließ – nur wenige Monate vor seinem ersten Spiel für die Profis des FC Schalke 04.

    2. Wie er wurde, was er ist:

    Manuel Neuers Torwarttraining

    im Schalker Nachwuchs

    Als Manuel Neuer im Jahr 1999, mit 13, in die C-Jugend des FC Schalke 04 aufrücken sollte, wurde seine geringe Körpergröße zu einem Problem – und zwar zu einem so entscheidenden, dass sie beinahe seine Fußballerkarriere beendet hätte, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Dazu kam, dass von der C-Jugend an auf Tore gespielt wurde, die denen im Profisport entsprechen, also eine Höhe von 2,44 Metern hatten. Davor waren die Tore lediglich zwei Meter hoch. Manuel hatte allerdings das Glück, dass die Torhüter der königsblauen Jugendmannschaften von einem Mann betreut wurden, der sich auf sein Handwerk verstand: Lothar Matuschak, der Leiter des Torwarttrainings in der A- und der B-Jugend des Vereins. Seine erste Begegnung mit Manuel Neuer beschrieb der damals 51-Jährige einmal so: „Er war so groß, wie eine Tischkante hoch ist, und hatte so eine piepsige Stimme, dass man ihn kaum hören konnte. Ein richtiges Milchgesicht."⁵ Wegen seiner Körpergröße stand Manuel auf der Abschussliste und hätte wohl den Sprung in die C-Jugend nicht geschafft, wenn Matuschak nicht sein großes Potential erkannt hätte. Vor allem die fußballerischen Fähigkeiten und die Übersicht des 13-Jährigen imponierten dem Torwarttrainer. Der lud Manuel zu einem Sichtungstraining ein und beriet sich anschließend mit Helmut Schulte, dem Nachwuchskoordinator der Schalker. Entgegen der ursprünglichen Pläne von Schulte beschlossen die beiden, Manuel eine Chance in der höheren Altersklasse zu geben.

    Dass Manuel lediglich 1,70 Meter maß, während andere Torhüter in seinem Alter bereits bis zu zehn Zentimeter größer waren, machte ihm schwer zu schaffen. Und obwohl er es bei Schalke in die C-Jugend geschafft hatte, wurde er wegen seiner Größe nicht mehr für die Westfalen-Auswahl nominiert. „Manche Trainer rieten mir, zu einem Chirurgen zu gehen, um meinen Kiefer oder die Knochen meines Handgelenks vermessen zu lassen, sagte Neuer viele Jahre später. In seiner Verzweiflung besorgte er sich einen Zollstock, mit dem er regelmäßig nachprüfte, ob er ein paar Zentimeter länger geworden war. Auch bei seinen Eltern nahm er Maß und stellte bei seiner Mutter eine Körpergröße von 1,74 Meter und bei seinem Vater 1,89 Meter fest. „Irgendwann beschloss ich, mir keine weiteren Gedanken zu machen, so Neuer.

    Ohnehin hatten die Sorgen bald ein Ende, weil Manuel noch während seines ersten Jahres bei der C-Jugend ordentlich wuchs. Und kurz nachdem er mit 15 Jahren in die B-Jugend und somit in die Obhut von Lothar Matuschak wechselte, setzte der so lange erhoffte Wachstumsschub ein. Plötzlich war Manuel der längste unter seinen Altersgenossen und auf dem besten Weg, die Größe von 1,93 Meter zu erreichen, die ihm als Erwachsenem zu bedeutenden Vorteilen gereichen sollte. Neben der Länge seines gesamten Körpers legten auch die Gliedmaßen zu – was sich überaus positiv auf sein Torwartspiel auswirkte. Denn dank der Hebelwirkung seiner langen Arme war Manuel in der Lage, den Ball sehr weit abzuwerfen. Weil Lothar Matuschak zudem intensiv Abwürfe üben ließ, gerieten die von Manuel mit der Zeit immer präziser. Dies sorgte dafür, dass er nach abgefangenen Angriffen des Gegners sehr schnell einen Konter einleiten konnte, weil er in der Lage war, das Leder gezielt und bis über die Mittellinie hinaus zu einem seiner durchstartenden Mannschaftskameraden zu werfen. „Er hat immer fast alles richtig gemacht, weil er schon als Junge die Fußball-Intelligenz hatte"⁷, erinnerte sich Matuschak Jahre nach seiner Arbeit mit Manuel Neuer.

    Lothar Matuschak war im Sommer 1995 zum FC Schalke 04 gestoßen. In seiner Anfangszeit beim Verein befand sich das Torwarttraining – nicht nur bei den Knappen, sondern im Allgemeinen – noch in den Kinderschuhen, war doch bis dahin der Chefcoach dafür zuständig, spezielle Übungen für seine Schlussmänner zu entwickeln. Matuschak begann, das Training zu übernehmen, zunächst nur ein Mal pro Woche, später immer häufiger und professioneller. Mussten die Keeper anfangs noch auf Asche oder auf einer kleinen Rasenfläche abseits des Platzes trainieren, so wurde ihnen im Laufe der Zeit immer mehr Raum gegeben. Matuschak beobachtete zudem die Spiele seiner Schützlinge und die anderer Mannschaften, in denen er potentielle Kandidaten für die Schalker Jugend vermutete. Die ersten Spieler, denen sich der Torwarttrainer von 1995 an widmete, waren die B-Junioren Robert Wulnikowski, Christian Wetklo und Toni Tapalović. Obwohl keiner aus diesem Trio im späteren Verlauf seiner Karriere den Sprung in die erste Mannschaft von Schalke 04 schaffte, wurde zumindest Wetklo, der 2001 zum FSV Mainz 05 wechselte, zum Stammtorwart eines Bundesligisten. Tapalović sollte seinerseits für die Laufbahn des sechs Jahre jüngeren Manuel Neuer eine bedeutende Rolle spielen.

    Matuschaks Philosophie vom Torwartspiel basierte darauf, dass ein Schlussmann nicht nur das Handwerk seiner Position beherrschen musste. Eine wichtige Rolle nahm auch das Beherrschen des Balles mit dem Fuß ein. Jede Einheit begann mit beidseitigem Pass- und Schusstraining, noch bevor die Keeper ihr Tor betraten, machten sie sich mit dem Spielgerät am Fuß warm. Eine ähnlich große Bedeutung hatte das schnelle Umschaltspiel von der Abwehr in den Gegenangriff. Eine typische Übung war etwa, dass

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