Wer hier die Fremden sind
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Es handelt sich um eine aktualisierte Auflage! (9. Februar 2016)
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Wer hier die Fremden sind - Helmut Zenker
Helmut Zenker
Wer hier die Fremden sind
(Roman)
Copyright © 2014 Der Drehbuchverlag, Wien
2. Auflage, 9. Februar 2016
Alle Rechte vorbehalten
eBook: Wer hier die Fremden sind (Roman)
ISBN: 978-3-99042-968-6
Inhaltsverzeichnis
Zitat
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Keiner kümmerte sich um die Fische,
die wir gefangen hatten.
Wir waren keine Fischer mehr.
Wolfgang Weyrauch
1
Ich bin aus der kinderleeren Klasse gegangen, nachdem ich auf dem Schreibtisch eine Ordnung (bestimmt nicht meine) hergestellt habe. Dem Direktor habe ich in der Direktion wie immer die Hand gegeben, mit dem Oberschulwart habe ich noch ein Gespräch über Dosen- und Flaschenbier geführt. Der Schulwart hat mein Weggehen nicht beachtet, weil es jeden Tag geschieht. Der Kasten- und Klassenschlüssel ist wie zufällig auf dem Schreibtisch geblieben, neben den Schulmilch-Strohhalmen. Die Klassenfenster habe ich geschlossen. Ein Wochentag, der keinerlei Bedeutung hat, einer, den man wegen seiner Belanglosigkeit gleich wieder vergisst oder vergessen könnte.
Die Schule bleibt auf dem Platz, aber doch hinter mir, mit den Lehrern, die mich nur ungern Kollege nennen. Ich habe mich nicht unauffällig weggeschlichen, ich habe den gleichen Weg (wie gestern und vorgestern) hinaus genommen. Ich habe es noch niemand gesagt, es ist noch nicht bekannt: Ich werde nicht mehr herkommen. Morgen wird man Vermutungen anstellen, der Direktor wird das Inspektorat verständigen, meine Klasse wird aufgeteilt, in wenigen Tagen wird Ersatz da sein. Ich habe es noch niemand gesagt. Aber es steht fest.
Der Entschluss fällt mir nicht schwer. Ich bin jetzt einige Monate Lehrer gewesen, was ich trotzdem ausreichend finde. Ich bin im Verlauf der gleichmäßigen Stunden zynisch geworden. Diese tägliche, grausame Schulwirklichkeit, über die habe ich nie mit dir gesprochen. Du hast mir die ersten Andeutungen schon nicht geglaubt. Darum habe ich diese Wirklichkeit für mich behalten und ausschließlich in meinem Kopf in Bewegung gelassen. Jetzt fragst du mich oft, was ich wirklich will.
Manchmal bin ich noch auf den Knien zwischen deinen Beinen. Danach habe ich Angst vor deinen Berührungen, auch vor denen, die du nur aussprichst.
Jeder hat mich (den Neuling) unterdrückt, leicht unterdrücken können: der Direktor, mit seinen ununterbrochenen Hinweisen auf Erlässe und Verordnungen, der Inspektor, obwohl ich ihn nie zu Gesicht bekommen habe, die Lehrer, die aus Karrieregründen Horcher sind, der Schulwart, der mich anfangs mit Freimilch geködert hat, das aber zuletzt nur als Möglichkeit zum Aussprechen seiner Vorurteile benutzt hat. Ich bin zynisch geworden, Zynismus war die bisher einzige Reaktion. Jetzt lasse ich mich lieber auf Gegenstände los. Was jetzt kommt, kenne ich schon, sogar ziemlich gut, weil ich schon vorher was anderes gemacht habe. Abstieg ist das keiner, rede ich mir ein.
Du brauchst niemand, sagst du manchmal. Heute stimmt das längst: ich habe meine Wahrnehmungen, spreche sie aber dir gegenüber nicht aus. Aus dem Gerede, das bleibt, werden seltsame Streitereien, die nach irgendeiner Mechanik funktionieren und täglich ärgere Ausmaße annehmen. Der Anfang ist nicht mehr leicht erklärbar.
Ich komme heim, du weißt (wie die andern) noch von nichts. Du schlägst mit jedem einzelnen Wort nach mir, was schon seit Monaten geschieht. Du machst das ganz leise, aber sehr wirkungsvoll. Ich ducke mich, dann schreie ich, brülle und schlage die Tür mit der Milchglasscheibe zu.
Brüllochse, sagst du; wieder leise und sehr leidend, obwohl direkt dahinter eine Berechnung lauert, über deren Zweck ich nichts weiß.
Jetzt schlage ich mit der Faust in die Milchglasscheibe und verstecke die Schnittwunden in einem Stofftaschentuch. Ich werfe alles, was ich erwischen kann, in deine Richtung: das Netz mit den Preisvorteil-Semmeln, die Handtasche, die Halbschuhe, die verschiedenen Blumenstöcke, den langen Blechschuhlöffel. Dann kratze ich mit den Fingernägeln den Stoff von der Kleiderablage, ich bin hilflos.
Du lässt dich nicht beirren, unternimmst weitere Wortstiche, denen ich nicht ausweichen kann. Keine Geschicklichkeit hilft. Ich schleudere die selbst gefertigte Wachskerze durch das Vorzimmer in eine Ecke, wo sie zerspringt, und schlage mit den Fäusten auf meinen Kopf. Zuletzt sitze ich im Bett, mit dem Rücken zur Wand, gegen die ich immer wieder in gleichmäßigen Abständen meinen Hinterkopf schlage, bis ich mich nicht mehr bewegen kann und auf die Steppdecke falle. Psychopath, sagst du und verlässt die Wohnung, Richtung Kindergarten. Eine Fliege humpelt über den Kopfpolster. Ich blase sie aus dem Bett.
2
Ungefähr zwanzig Minuten, sagt der Taxilenker. Ich steige hinten ein und stelle die Reisetasche neben mir auf den Rücksitz. Der Fahrer hat ein Fußballmatch im Autoradio eingeschaltet. Als er meinem Blick im Rückspiegel begegnet, fragt er sicherheitshalber, ob es mich stört, wenn er die Direktübertragung des Fußballspieles eingeschaltet lässt. Ich sage nichts. Er fragt mich etwas über Fußball.
Ich verstehe nichts von Fußball, sage ich. Darauf schweigt er, bis ich vor dem Hotel aussteige, dessen Namen ich im Telefonbuch gefunden habe.
Das Zimmer hier ist (laut Portier) ein Zimmer mit Aussicht. Ich kann die Zimmertemperatur regulieren und auf Knopfdruck den Portier in der Eingangstür erscheinen lassen. Auf dem Tisch liegen Glanzfotografien, die irgendjemand vergessen haben muss. Ich habe die Bilder schon oft angeschaut, obwohl ich keine der abgebildeten Personen kenne. Ich weiß jetzt alle Gesichter auf den Bildern, teile ihnen Namen zu und merke mir die Namen.
Im Zimmer nebenan hört einer Marschmusik oder hat bloß das Radio abzudrehen vergessen. Die Gegend hier (vor dem Fenster) ist mir nicht bekannt, obwohl ich seit Jahren in der Stadt lebe, die ich selten verlassen habe. Mein Geld reicht für ein paar Tage. Nebenan wird die Marschmusik jäh unterbrochen, dann ist die Wasserspülung zu hören.
Das Zimmer ist glatt. Ich will keine Vergleiche anstellen mit dem Zimmer, das ich bis gestern bewohnt habe, es ist gar nicht möglich, Vergleiche anzustellen. Dieses Hotelzimmer gehört mir nicht: ein Durchgang für zwei oder drei Tage vielleicht; ein Zufall. Ich habe keine Pläne, keine bestimmten Absichten. Ich weiß nicht, was ich will, aber ich weiß, was ich nicht will. Ich versuche es zum ersten Mal mit einer gefühlsmäßigen Konsequenz, die bestimmt nicht logisch ist. Wir haben unser legalisiertes Zusammenleben Tag für Tag verlängert, wodurch nichts besser geworden ist. Ich habe es nicht dazu gebracht, mich verständlich zu machen; eine Tatsache, die ich noch ändern will.
Durch das offene Fenster höre ich Schritte. Ich will sie auch sehen und gehe in der Unterhose zum Fenster. Die Straße ist staubig, eine Frau mit Handtasche biegt in eine Seitengasse. Auf der anderen Straßenseite ist eine Krankenhauseinfahrt. Ein Mann schaut so lange in den bereits beleuchteten Glaskasten neben dem rotweißroten Schlagbaum, bis es der Beamte im Glaskasten bemerkt, aufsteht und von innen an die Scheibe klopft.
Ich ziehe meine Füße aus den Schuhen und lasse mich ins Bett fallen. Auf dem Rücken liegend schaue ich ein paar Minuten in das kleine Deckenlicht. Schließlich sammle ich die im ganzen Zimmer verstreuten Kleidungsstücke wieder ein und ziehe mich an.
Gehen Sie noch weg, ruft der Portier aus dem Abstellraum hinter dem Empfangspult, als ich die paar Stufen hinunter komme.
Ich gehe noch weg, sage ich. Der Portier taucht im kleinen Türrahmen auf, knöpft seine Jacke zu und öffnet ein Buch.
Es ist besser, wenn Sie gleich bezahlen, sagt er. Ich lege ihm den genannten Betrag auf den Tisch, während er schon den von mir angegebenen Namen und das übrige auf den Meldezettel schreibt. Ich sage, ohne einen Grund dafür zu wissen, einen falschen Namen.
Ich fahre mit dem Bus bis zu einem Stadtrandwirtshaus (fast schon in der Au), wo ich mich mit Stefan treffen will, einem vierzigjährigen Speditionsarbeiter, den ich beim Kartenspielen in einer Stehweinhalle getroffen habe.
Ich stehe im Türrahmen. Stefan ist auch schon da und hat in einem Winkel Platz gefunden. Die Wirtin, die früher Tänzerin gewesen sein soll, steht gerade bei seinem Tisch. Ich bestelle gleich ein großes Bier mit. Irgendwelche Tische, denke ich, unverrückbar. Bei der Musikbox lässt einer ein Glas fallen. Die Wirtin kehrt die Splitter weg.
Am Nebentisch gibt es aufschlusslose Gespräche. Der Tisch rechts bleibt frei, bis ein dürrer, schwächlicher Ausländer kommt, neben sich auf die Bank eine mit Spagat verschnürte Schachtel stellt und sich ein Cola bringen lässt.
Der Fernseher steht zwischen Plastikblumen. Die richtigen Blumen sollen nach dem Bodenversiegeln eingegangen sein. Der Schlag hat sie getroffen, kommentiert die Wirtin.
Stefan redet wenig und beobachtet aus seiner Ecke die Wirtin, die fast die ganze Zeit in der dunstigen Küche mit Töpfen und Gläsern klimpert. Ich gehe nach dem zweiten Bier auf das Pissoir, das im Hof um die Ecke ist, genau da, wo man früher auch hingegangen ist, bevor das Pissoir gemauert wurde.
Das dreizehnjährige Enkelkind der Wirtin macht (in Spitzenschuhen) Ballettschrittchen durch das Gastzimmer. Ein Schottergrubenbesitzer legt einen Schilling auf den Tisch, den die Wirtin eilig an sich nimmt. Später ohrfeigt der Schottergrubenbesitzer einen anderen aus dem Gastzimmer, der gesagt hat, dass man die Kleine samt ihren Ballettschuhen schon einmal im dunklen Hof erwischen könnte, obwohl er sich wahrscheinlich das gleiche gedacht hat.
Der Dürre am Nebentisch ist weg, keiner hat sein plötzliches Weggehen bemerkt. Gezahlt hat er gleich,