Kottan ermittelt: Alle Morde vorbehalten
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About this ebook
››Zenker schreibt wie ein Schlitzohr zwischen Unbeschwertheit und Trübsal. Ein Krimiklassiker.‹‹ - Hannoversche Allgemeine
››...jetzt wissen wir, warum die Vorarlberger nicht mehr bei Österreich bleiben wollen... geistige Tiefgarage... wir werden Anzeige erstatten...‹‹ - Telefonprotokoll des ORF-Kundendienstes
››Helmut Zenker gelingt es glänzend, Milieu zu schildern und dabei das von Kottan so oft optisch inszenierte Chaos auch Wort für Wort treffend, intelligent und zynisch-witzig darzustellen.‹‹ - Darmstädter Echo
››Das Buch, das Sie immer schon nicht lesen wollten.‹‹ - ORF
Es handelt sich um eine aktualisierte Auflage! (11. Februar 2016)
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Book preview
Kottan ermittelt - Helmut Zenker
Helmut Zenker
Kottan ermittelt: Alle Morde vorbehalten
(Roman)
Copyright © 2014 Der Drehbuchverlag, Wien und Jan Zenker
2. Auflage, 11. Februar 2016
Alle Rechte vorbehalten
eBook: Kottan ermittelt: Alle Morde vorbehalten (Roman)
ISBN: 978-3-99042-910-5
Inhaltsverzeichnis
Zitat
Die Hauptpersonen
Prolog
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Epilog
Anmerkungen
Der Autor
Träumst du hässliche Dinge oder nicht?
Julio Cortázar
Unsere Civilisation, regiert durch eine minutieuse Polizei, giebt keinen Begriff davon, was der Mensch in Epochen thut, wo die Originalität eines Jeden freieren Spielraum hat.
Friedrich Nietzsche
Die Hauptpersonen
Adolf Kottan, 41, noch immer Lederjackenträger, Biertrinker und Bandleader; manchmal nicht suspendierter Major im Wiener Sicherheitsbüro.
Alfred Schrammel, 50, kriminalistisches Glühwürmchen, unbedeutender Autor und werdender Liebhaber.
Paul Schremser, 55, einbeiniger Hobbykoch und Vielfraß im Dienst; trotzdem Dezernatsleiter.
Heribert Pilch, 55, unbedeutender Kriminalist, Polizeipräsident in ständiger Behandlung; herrsch- und kaffeesüchtig.
Heinz Bauer, 54, Chef der Staatspolizei, Stiefbruder Pilchs.
Erwin Drballa, 65, Sandler bzw. Stadtstreicher, ist nicht in Form. Er findet von insgesamt vier Leichen nur eine.
Renate Murawatz, 27, nicht mehr ganz leichtes Mädchen.
Josef Grammanitsch, 32, Student und Fesselungskünstler.
Albert Formanek, 44, Mann mit Beruf und Berufung.
Vera Geritzer, 38, lebt nur im ersten Kapitel.
Helga Dusak, 52, weiß, was sie will und begreift zu spät.
Hannes Rikal, 35, wird privat bestohlen und polizeilich verprügelt.
Sylvia Pattera, 37, will über Sex nicht nur plaudern.
Aloisia Kottan, 68, Pianistin, Mutter und Hobby-Kriminalistin.
Ilse Kottan, 49, Gattin, Sängerin und Lockvogel.
Der Roman spielt Anfang der neunziger Jahre in Wien und Umgebung.
Prolog
Er rückte ein. Er ging ins Feld.
Er kämpfte.
Er war ein tapferer Soldat.
Joseph Roth
Der Untergang des Abendlands hat viele Gesichter. Die vier markantesten will Ihnen dieses Buch ans Herz legen.¹
Wir befinden uns in einem Jahr ohne jegliche Bedeutung. Die Mächte der Finsternis sind noch nicht zur Ruhe gekommen. Allerorten schreiten sie rücksichtslos und unaufhaltsam voran. Allerorten? Nein! Nein! Und noch einmal nein! Die erstaunten Augen der Welt sind auf Wien gerichtet, wo ein beherztes Team von Kriminalbeamten im Sicherheitsbüro sich noch nicht geschlagen gibt. Im Gegenteil. Man ist nicht bereit, den geordneten oder ungeordneten Rückzug anzutreten.
Polizeipräsident Heribert Pilch, der immer noch in der Rolle des besten Polizeipräsidenten aller Zeiten dilettiert, will ungebrochen aus Wien an der Donau die europäische Metropole der Sicherheit machen. Er vertraut der Statistik, dem Glück und der Routine; seinen Mitarbeitern nie.
Morddezernatsleiter Paul Schremser ist an Vertrauen von oben nicht interessiert. Mit Sonderbewilligung stürzt sich der geborene Innendienstler in den täglichen Außendienst. Major Adolf Kottan, zurzeit von drei Disziplinarverfahren umzingelt, werkt eher deswegen noch, weil seine künstlerische Entwicklung mit Kottans Kapelle heftig stagniert.
Der Eifer von Alfred Schrammel ist nicht zu überbieten, seine Erfolglosigkeit auch nicht.
Im Sicherheitsbüro herrscht in diesen Stunden nicht die gewohnte Atmosphäre von Arbeitsdrang und Tatendurst, denn wir schreiben einen Samstag. Die Kriminalbeamten sind als Privatpersonen über die dunstige Stadt verstreut. Nur ein neuer Fall könnte die Handvoll wackerer, unbeugsamer Kriminalbeamter
vor dem Montagmorgen zusammenführen.²
1
I'm not after anything that you
don't want to give me.
I want your body and your soul.
Kris Kristofferson
Albert Formanek hat sein Inserat vor drei Wochen in der Rubrik Lieber zu zweit (Bekanntschaften) des Kurier aufgegeben: Charmantes, aufrichtiges Herz (männlich, 44) träumt von enttäuschtem, einsamen Herz (weiblich), Alter egal. Zuschriften höflich erbeten unter ››Ball zu zweit‹‹ an den Verlag. Den heutigen Nachmittag und den Abend hat Formanek, der jede Woche zweimal in wechselnden Zeitungen inseriert, genau geplant. Die erste Station wird der Fettfleck sein, ein kleines Kaffeehaus in der Nähe des Bahnhofs. Für zwei Gläser Samos ist ein griechisches Lokal im sechsten Bezirk vorgesehen. In der Lonely Hearts-Bar wird er spätestens um 21 Uhr eintreffen. Bis dahin wird längst feststehen, ob die heutige Bekanntschaft, die wie alle nur eine kurze Bekanntschaft sein kann, in seine Pläne passt.
15 Uhr 20. Albert Formanek trifft die letzten Vorbereitungen. Er steht im Westbahnhof in einer engen WC-Kabine, die er sich für fünf Schilling gemietet hat, kontrolliert die Frisur im kleinen Taschenspiegel, nässt mit seinem Antitranspirant-Roller beide Achseln und entfernt noch zwei Nasenhaare. Der misstrauischen Klofrau, die sofort registriert, dass Formanek die Spülung nicht betätigt hat, gewährt er einen hundertprozentigen Zuschlag. Auf der Rolltreppe schwebt er hinter zwei schnatternden Amerikanerinnen hinauf zu den Bahnsteigen. Der Zug aus Linz wird um 15 Uhr 30 eintreffen und voraussichtlich keine Verspätung haben.
Beim Blumengeschäft im ersten Stock lässt er sich noch einen Strauß aus Rosen, Papageienschnäbeln und Grünzeug zusammenstellen. Als der Zug einfährt und quietschend hält, bleibt er am Ende des Bahnsteigs. Er weiß nicht, wie Vera Geritzer aussieht. Sie wird, wie telefonisch vereinbart, ihn erkennen müssen: hellrotes Sakko, weiße Hose, Blumen in der linken Hand.
Vera Geritzer, 38, im knielangen Rock, weißen Strümpfen mit Naht und bunter Bluse, trägt eine kleine Reisetasche und setzt auf dem Bahnsteig nur kurze Schritte, weil sie ihre leichte Kurzsichtigkeit unsicher macht. Die dunkle Blondine hat noch keine Erfahrung mit Bekanntschaften per Inserat. Es ist ihr absolut erster Versuch. Der schlanke Mann, der sie erwartet und sich am Telefon mit Robert Scherzer gemeldet hat, ist wirklich nicht zu übersehen. Er gefällt ihr vom ersten verschwommenen Augenblick an.
››Frau Geritzer?‹‹, flüstert seine Stimme.
››Ja.‹‹
››Grüß Gott‹‹, sagt Formanek und küsst ihr die kalte Hand. ››Enttäuscht?‹‹
››Nein.‹‹
Er hält ihr die Blumen unter das Kinn und schlägt einen gurrenden Ton an.
››Fünf sind für Sie, fünf dafür, dass Sie wirklich gekommen sind, fünf dafür, dass Sie wegen mir gekommen sind. Tauschen wir?‹‹
Vera Geritzer nimmt den Strauß, nachdem ihr Formanek die Tasche abgenommen hat. Er schiebt die Frau mit dem linken Arm ins Bahnhofsgebäude und übertreibt weiter.
››Sie stellen Ihre Fotografie weit in den Schatten. Und in die war ich fast schon verliebt. Haben Sie im Speisewagen was gegessen?‹‹
››Natürlich nicht. Sie haben mir ja geraten, mich ganz Ihrer Küche anzuvertrauen.‹‹
››Sie werden nicht enttäuscht sein. Wir haben ein großes Programm.‹‹
››Schön.‹‹
Albert Formanek, der auch seine Begrüßung geplant hat, lässt kein Wort, keine Geste aus.
››Entspannen Sie sich. Lassen Sie sich fallen und vertrauen Sie mir. Es wird Ihnen gefallen.‹‹
Im Freien öffnet er der dünnen, nur wenig geschminkten Frau die Tür eines Austin Princess-Cabrios; ein renoviertes Sondermodell. Bevor er den Motor anlässt und den ersten Gang einlegt, streift er mit der rechten Hand wie zufällig ihre Hüfte. Hat sie gezittert? Formanek ist fast sicher, dass Vera Geritzer geeignet ist, heute noch in seinem Haus am Stadtrand zu sterben.
Alfred Schrammel lernt nie dazu; dienstlich nicht und privat schon gar nicht. Er hat es zwar aufgegeben, über eigene Kleininserate die Frau fürs Leben zu finden, aber hin und wieder antwortet er auf Anzeigen, wenn ihn beim Schreiben seines Romans über einen einsamen Kriminalbeamten selber die Einsamkeit juckt. Vor 14 Tagen ist ihm ein Inserat im Bazar aufgefallen: Gepflegter, weiblicher, brünetter Skorpion, leider lieblos gebunden, wünscht sich zärtlichen, unternehmungslustigen Mann für gelegentliches Erdbeben. Unter ››Mollig‹‹ an PA 1210, PF 372. Die Antwort auf sein schriftliches Bittgesuch ist vor zwei Tagen im Postkasten gelegen.³ Gerade rechtzeitig, um die unbekannte Frau zum heutigen Auftritt in der Lonely Hearts-Bar zu bestellen. Sie wird dort sein, hat sie am Telefon gesagt, und sich bemerkbar machen. Frauen fliegen auf Musiker, redet sich Schrammel ein.
Adolf Kottan hat den Auftritt in der Bar eigentlich stornieren wollen, weil seine Band mehr oder weniger nur das Vorprogramm zur Frauenkapelle mit dem tendenziösen Namen Morddezernat ist, bei der seine Mutter und seine Frau das Sagen und Singen haben. Schremser, auf dessen Mist das grob geänderte Programm gewachsen ist, hat dem Major diese Flucht ausreden können. Er will heute mit Leistung reüssieren.
Polizeipräsident Pilch hat sein mit Tropennetzen gesichertes Bett verlassen, um sich auf die karge Liege in einer psychiatrischen Ordination zu legen. Doktor Watzinger, für den die Gebietskrankenkasse nicht aufkommen wird, ist ihm empfohlen worden. Heribert Pilchs Jammern gilt heute weniger den Insekten, die sein Leben verdunkeln, auch nicht dem polizeilichen Kaffeeautomaten, der für den Präsidenten kein Herz und keinen Kaffee übrig hat. Adolf Kottan geistert durch seine ängstlichen Gedanken, gegen den er mit zwei Suspendierungsverfahren nicht durchgekommen ist.
››Es ist genug‹‹, sagt Dr. Watzinger, der auf seine Sportswatch blickt.
››Es ist nicht genug!‹‹
››Beruhigen Sie sich. Bitte.‹‹
Der Präsident zieht im rechten Nasenloch Rotz hoch. Die Papiertaschentücher sind in einer anderen Jacke.
››Starke Männer haben starke Gefühle!‹‹
››Aber Ihr Major Kottan lebt ja, soviel ich weiß.‹‹
››Eben!‹‹ Heribert Pilch richtet sich auf. Seine Augen sind weiße Scheiben. ››Warum begreifen Sie nichts? Ich habe ihn in meiner Phantasie, in meinen Träumen schon 1000mal sterben lassen, aber die unerträgliche Wirklichkeit zwingt ihn mir Tag für Tag auf! Warum helfen Sie mir nicht?‹‹
Dr. Watzinger steht auf, kratzt mit langen Nägeln geräuschvoll auf seiner breiten Brust.
››Es gibt drei Möglichkeiten‹‹, verkündet er. ››Endweder pumpe ich Sie mit Valium auf wie eine Luftmatratze...‹‹
››Vergessen Sie das.‹‹
››Das einfachste wäre‹‹, sagt er und zwinkert Pilch an, ››Sie löschen Kottan physisch aus.‹‹
››Dazu kann ich mich nicht entschließen. Mord ist nicht gerade ein Hobby von mir.‹‹
Der Doktor grinst: ››Ich rate Ihnen ja auch nicht dazu.‹‹
››Was dann?‹‹
››Verbannen Sie ihn aus ihrer Umgebung.‹‹
››Mit welchem Vorwand? Er ist doch einer der besten.‹‹
››Warum hassen Sie ihn dann?‹‹
››Weil er mich missachtet, sabotiert, bloßstellt, an meinem Sessel sägt, mich brüskiert, wo er nur kann. Sogar beim Chor der Kriminalbeamten ist er ausgestiegen.‹‹
››Verfolgen Sie ihn mit konsequenter Kleinlichkeit. Das genügt.‹‹
››Das könnte mir liegen.‹‹
Der stellvertretende Geschäftsführer der Lonely Hearts-Bar hält sich für den geborenen Conferencier. Er schreit in das Standmikrophon: ››Ladies and Gentlemen! Das Kulturamt der Stadt Wien and Lonely Hearts proudly present Kottans Kapelle!‹‹
Die Beamten-Band ist noch nicht so weit. Kottan stimmt seine Gibson-Gitarre. Schrammel hat mit